Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
formelhaft lieblose Weise nicht mehr, als dass unser gütiger Ehemann, Vater, Schwiegervater, Schwager etc. nach längerer Krankheit vom gütigen Herrn zu sich berufen worden war, und zwar am Freitagabend (vielleicht während Derrick ). Die Hinterbliebenenfeierlichkeit sollte schon heute, um dreizehn Uhr auf dem und dem Kirchhof, stattfinden. Die Mühe, sich noch irgendeinen tröstenden Bibelspruch rauszusuchen, hatte man sich erspart.
Hiob schürzte die Lippen. Da hatte es ja jemand mächtig eilig. Freitagabend hatte der Alte den Löffel abgegeben, Sonntag war die Anzeige schon im Blatt, und ebenfalls Sonntag sollte der Leichnam schon eingelocht werden. Das war mindestens ungewöhnlich. Nicht direkt prognostical, aber immerhin ungewöhnlich. Und Zante war verheiratet. Na ja, das war nicht mal ungewöhnlich.
Als Hiob die großformatige Zeitung schon zusammenklappen wollte, glitt sein Blick zufällig auf noch eine zweite Todesanzeige zum Thema Byhn. Sie war ganz unten auf der Seite, nicht einmal annähernd in der Nähe der Familienanzeige, wo sie doch eigentlich der Ordnung halber hätte sein müssen. Ein siebenzackiger Stern mit quasi dreidimensionaler Licht-Schatten-Faltung schmückte dieses schwarz umrandete Rechteck für Großmeister WILHELM BYHN. Die Unterschrift lautete Deutscher Druiden-Orden V.A.O.D. Tetema-Loge Gross-Loge Berlin-Brandenburg . Keine Erwähnung der Trauerfeierlichkeiten. Überhaupt fehlte beinahe jeglicher Begleittext. Kein ›Am Soundsovielten entschlief unser lieber Bruder‹, kein ›Er gehörte unserem Orden soundsoviele Jahre an‹, kein ›Wir danken für seine Treue und werden ihm ein ehrendes Angedenken bewahren‹. Stattdessen nur ein einziges Wort mit Ausrufezeichen fettgedruckt über dem Namen:
Endlich!
Endlich? Was hatte ein befriedigter Ausruf wie ›Endlich!‹ in einer Traueranzeige zu suchen? War der Todeskampf des Großmeisters so langwierig und schrecklich gewesen, dass auch seine Glaubensbrüder nicht anders konnten, als Erleichterung zu empfinden? Hatte es vielleicht aus anderen Gründen Mitglieder in seinem Orden gegeben, die ihm den Tod wünschten und jetzt vor Freude auf den Altären tanzten, dass der gestrenge Willy nicht mehr unter ihnen weilte?
Sehr rätselhaft, das Ganze.
Es wirkte nicht besonders gut durchdacht – und das war es ja auch nicht –, aber nachdem Hiob zu Hause angekommen war und die Zeitung geistesabwesend in die Biotonne im Innenhof geworfen hatte, marschierte er wieder los, und zwar genau denselben Weg zurück zur U-Bahn. An einem Kreuzungsbahnhof besorgte er sich dann einen symbolischen Strauß Blumen und fuhr zum Haus der Byhns, um Mutter Byhn zu kondolieren. Er wusste noch gut, wo die Familie wohnte, und hoffte eigentlich, dass Zante mittlerweile ausgezogen war und er sie nicht unbedingt dort antreffen würde, aber das ging natürlich schief. Zwar war Zante mittlerweile ausgezogen, aber jetzt war sie wieder im Elternhaus und half ihrer Mutter bei der Bewältigung der neu errungenen Witwenschaft. Und Zante war nicht alleine da. Sie hatte ihren Ehemann gleich mitgebracht.
Obwohl es noch nicht einmal neun Uhr morgens war, waren im Hause Byhn schon alle auf den Beinen. Man machte sich sozusagen schon ausgehfertig für den letzten Gang des Hausherrn. Mutter Byhn erkannte Hiob gar nicht wieder. Er hatte sich zwar nicht groß verändert seit der Zeit, als er mit ihrer Tochter rumgemacht hatte, aber besonders viel Kontakt hatte er sowieso nie mit der Mutter gehabt. Hiob wiederum erkannte Zante nicht wieder. Die Königin des Mondlichts hatte sich in eine Kreditkarteninhaberin mit Lebensversicherung verwandelt. Ihr Haar war jetzt blond – das war echt, ihr Schamhaar war schon damals blond gewesen –, kurz und keck und karrierebewusst, sie war geschmackvoll geschminkt, wohlduftend parfümiert und trug ein schickes schwarzes Kostüm, das sie zehn Jahre älter machte. Ihr Mann – sein Name war Hardy – sah aus wie ein Fotomodell aus einem Peek & Cloppenburg -Prospekt und arbeitete bei einem privaten Gute-Laune-Radiosender mit den größten Hits der letzten dreißig Jahre. Zante selbst hatte ein kleines Kosmetikstudio eröffnet, das immerhin war konsequent – geschminkt hatte sie sich auch als kleines Mädchen schon gerne.
Hiob wurde im Haus der Byhns so depressiv, dass er sich beinahe mit einem Messer, das neben den Käsehäppchen für Trauergäste lag, die Kehle durchgeschnitten hätte.
Als er Zante verlassen hatte, um nach Höherem zu streben,
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