Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
welche Sitzordnung auch immer herrschte. Selbst wenn man im Kreis zusammensaß, konnte sie sich den Anschein geben, eine Reihe hinter den anderen zu sitzen. Sie blühte da hinten wie eine seltene Blume mit blassweißer Blüte, war eines jener seltsamen Gewächse, die eigentlich nur in etwas wohlhabenderer Umgebung entstehen können, und nur dann, wenn poetische Bildung und idealistische Rebellion zusammen schwelten.
Sie war eine Gothic.
Damals nannte man das noch abschätzig »Gruftie«. Ihre Augen und Lippen waren schwarz geschminkt, die Haare in der Farbe von Neumondnächten gefärbt. Ihre Haut war bleich wie Porzellan, und wenn sie sich bewegte, wurden ihre Glieder mit der Last von Jahrhunderten beschwert. In den Großen Pausen ging sie nie raus. Sie konnte die Sonne nicht vertragen.
Es gab einen Punk in der Klasse – kurze Zeit, er wurde bald wegen fortwährenden Bierkonsums im Unterricht von der Schule geschmissen –, es gab zwei, die wie Popper rumliefen, einen verhinderten Elitezögling mit Aktentasche, ein füreinander bestimmtes Körnerfresser-und-Räucherstäbchen-Pärchen und sogar einen Skinhead, der aber kein richtiger Skinhead war, sondern eigentlich nur wie ein Arsch herumlief, weil er auf Ska stand. Aber keiner von denen konnte es an Originalität auch nur annähernd mit Zante aufnehmen. Sie verkörperte entrückte Exotik. Sie hatte keine Freunde, niemanden, mit dem sie jemals zusammen war. Hiob konnte das anfangs gar nicht glauben, da sie so ausgesprochen attraktiv war. Es dauerte eine Zeit, bis er dahinterkam, dass die bemitleidenswerten Mitschüler ihr Outfit hässlich fanden. Das war für ihn schwer nachzuvollziehen, denn er war schon längst verliebt.
Zante – was für ein unglaublicher Vorname das allein schon war: der Name einer ionischen Insel – war froh darüber, endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem sie ihren pubertierenden Existenzialismus teilen konnte. Sie traf sich nachts mit Hiob, und beide streiften sie im Mondlicht umher, tanzten auf verwitterten Friedhöfen und versteckten sich vor der atomkriegsgefährdeten Welt in Parks und Wäldern. Sie schliefen miteinander, entblätterten sich gegenseitig von ihrer Jungfräulichkeit. Sie gingen miteinander, waren Freund und Freundin, Boy- und Girlfriend und wie man das noch alles nennen kann. Hiob Montag, Zante Byhn. Natürlich niemals in Baumrinden geritzt, denn Bäume waren heilig.
Man tuschelte über die beiden merkwürdigen Jugendlichen, aber was machte das schon aus? Wen brauchten sie schon? Die jeweiligen Eltern immerhin waren begeistert, dass ihre Kummer verursachenden Sprösslinge endlich auch mal beim Lächeln erwischt werden konnten.
Zantes Vater war ein interessanter Mann, Großmeister im Deutschen Druiden-Orden V.A.O.D., genauer gesagt der Tetema-Loge, die dann später als erste mit Brandenburg fusionierte. Tagsüber ging er einem ordinären Job als mittlerer Verwaltungsangestellter nach, aber nach Feierabend konnte er sich in einen robenbewährten Hierophanten verwandeln, der durchaus die Macht hatte, wirtschaftliche Verbindungen zu knüpfen, die das Vorstellungsvermögen seiner bürgerlichen Arbeitgeber überstiegen. Er hätte leicht einen viel einflussreicheren Brotberuf haben können, aber das wollte er nicht. Er wollte sich nicht auffressen lassen von irgendeiner anspruchsvolleren Tätigkeit, er wollte auch tagsüber im Großen und Ganzen den Kopf freihalten können für das, was er abends in die Wege leitete. Leider war er mit dieser Lebenseinstellung natürlich ein ziemlich lausiger Vater, und Zantes verkniffene Mutter alleine war mit ihrer Tochter ebenfalls überfordert.
Vielleicht interessierte sich Wilhelm Byhn aber deshalb für seine Tochter so wenig, weil sie ein Mädchen war. Mädchen und Frauen haben im Druidismus – wie in den meisten anderen orthodoxen Glaubensgemeinschaften auch – keinen hohen Stellenwert.
Umso mehr war Byhn natürlich von Hiob begeistert, der dank seiner Addams-ähnlichen Familie ja auch schon arkanische Vorbildung vorzuweisen hatte und damit so was wie den idealen Schwiegersohn abgab. Der junge Hiob konnte einiges von dem Druiden lernen, zum Beispiel, wie man anderen Menschen Schmerzen suggerieren konnte, indem man sie wissen ließ , dass man sie verhext hatte. Und noch andere ganz nützliche Kleinigkeiten. Byhn war ein wenig eigen in biblischer Hinsicht, das heißt, für ihn waren die Worte der Heiligen Schrift in Stein gemeißelte Wahrheiten, aber Hiob, der im Eklektizismus
Weitere Kostenlose Bücher