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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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vor seinem Tod. Er hatte nicht mehr so oft über die Schmerzen geklagt, wahrscheinlich, weil er wie ein Besessener daran gearbeitet hatte, oben in seinem Studierzimmer mit Stößeln, Tiegeln, chemischen Aufbauten und ein paar importierten Substanzen sich selbst aus der Kombination ärztlich verordneter Placebos eigene Schmerz- und Betäubungsmittel herzustellen. Umso furchtbarer hatte ihn dann aber der schon in die Defensive gedrängte Schnitter niedergeworfen: Freitagabend, wieder allein in seinem kleinen Laboratorium, hatte der Krebs den Kämpfer ganz umfangen. Gurgelnd und röchelnd vor Schmerzen, Blut aus seinen Hosenbeinen triefend, war Byhn unter den schockierten Blicken seiner bereits benachthemdeten Frau aus seinem Studierzimmer gewankt, noch ein paar Meter bis zur Flurtreppe getorkelt und dort niedergestürzt, sich abwärts über die Stufen wieder und wieder überschlagend, bis gar kein Leben mehr in ihm war. Der Großmeister hatte seinen Meister gefunden, die zur Witwe gewordene Gattin hetzte allein mit ihrem Schreikrampf schon die Polizei und die Feuerwehr herbei.
    Es hatte wohl gestern noch eine Untersuchung des Korpus gegeben, weil ja nicht ganz auszuschließen war, dass Byhn sich vielleicht bei seinen chemischen Experimenten aus Versehen selbst vergiftet hatte, aber da war nichts gefunden worden. Nichts in seinem Innern außer Blut, Galle und grässlichen Tumoren, die selbst im toten Leib nicht aufhören wollten zu wuchern.
    Obwohl ihm hundeelend war, bestand Hiob noch auf einer Führung zu den Schauplätzen des Sterbens. Der blutbesudelte Treppenläufer war von den Stufen gelöst worden, die deshalb aufwärts nur umso kantiger und feindseliger wirkten. Das Studierzimmer oben war abgeschlossen, aber Hardy – als Einziger der Familie noch willens, sich hier aufzuhalten – ebnete Hiob mit einem Schlüssel den Weg. Im Zimmer selbst war wenig verändert worden, nur die stinkenden Spritzer aus Blut und zersetzten Eingeweiden waren vom Teppich gekratzt worden.
    Hiob fand – wie beschrieben – einen Tisch voller chemischer Versuchsanordnungen vor, deren Sinn einem diesbezüglichen Laien verschlossen bleiben musste. Darüber hinaus lagen überall Bücher herum, die meisten irgendwo aufgeschlagen. Chemisches Zeugs, Fachliteratur über schamanische Gifte und alternative Heiltechniken des Vorderen Orients, drei Bibeln in verschiedenen Sprachen (die alle an derselben Stelle im Lukasevangelium aufgeschlagen waren, die in der deutschsprachigen Ausgabe folgendermaßen lautete: Und es werden Zeichen eintreten an Sonne und Mond und Sternen und auf Erden Angst der Völker, sodass sie sich nicht zu raten wissen vor dem Tosen und Wogen des Meeres; Menschen werden den Geist aufgeben vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen werden; denn die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden. Und dann wird man den Sohn des Menschen auf einer Wolke kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit. Wenn aber dies zu geschehen anfängt, so richtet euch auf und hebet eure Häupter empor; denn eure Erlösung naht. ), aber auch ein paar echte Knüller: eine Ausgabe von Teophilus Wenns True Magick , ein paar Fotokopien der Pnakotic Manuscripts sowie eine in griechischer Schrift – aber nicht in griechischer Sprache – verfasste, von Hiob aber anhand der Abbildungen erkennbare Abschrift der Revelations of Glaaki . Ein Jammer, dass all diese wertvollen Exemplare jetzt den Händen Unkundiger überantwortet waren, aber Hiob fühlte sich im Augenblick wirklich nicht fit genug, um mit Hilfe von ein paar Suggestionszaubern hier so einiges abzustauben. Als er den Raum wieder verlassen wollte, fiel ihm an der Rückseite der Tür noch eine angeheftete Reispapier-Tusche-Kalligraphie auf, die aus chinesischen Schriftzeichen bestand. Eine Übersetzung war nirgendwo zu sehen. Hiob versuchte sich zu konzentrieren, irgendetwas zu sagen wie »Ach, da ist ja die Kalligraphie, die ich Wilhelm mal geliehen habe. Die gehört mir, kann ich die mitnehmen?«, aber er brachte es nicht fertig. Das Papier schien dort, wo es hing, auf einer Tür nach draußen, auf die richtige Weise im Gefüge des Gesamtzimmers verankert. Das war eine merkwürdige Assoziation, fand Hiob. Und noch etwas irritierte ihn in diesem Moment, etwas, was die ganze Zeit über schon da gewesen war, aber vielleicht erst jetzt so richtig den Durchbruch zu seinen Sinnesrezeptoren geschafft hatte. Es hing ein Geruch in dem Raum, der noch anders war als der des

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