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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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seiner Mutter erzogen worden war und deshalb von allem etwas wusste, aber an nichts wirklich glaubte, konnte damit ganz gut umgehen, manchmal unter Zuhilfenahme von Ironie.
    Auf die Art hatte Hiob in einem Alter, in dem andere Jungs sich für Motorräder und – noch unerreichbare – Autos interessieren, drei verschiedene Lehrer der mystischen Künste: seinen Großvater, der sich seit dem Tod von Hiobs Vater mehr und mehr in Hiobs Leben bemerkbar machte, seine Mutter und eben den freundlichen Druiden Byhn. Für Jung-Hiobs Sozialisierungsprozess waren drei Lehrer drei zu viel. Es dauerte nicht lange, da begann er, die Oberflächlichkeit von Zantes Mystizismen lächerlich zu machen und in den Dreck zu ziehen. Letzten Endes, so wurde ihm klar, lief dieses Mädchen nur deshalb so spitzenmäßig aufgemacht herum, weil sie eine bestimmte Art von Musik liebte, die Kühle von nächtlichen Grabsteinen unter ihrem nackten Hintern und altkluge surrealistische Poesie. Aber das dahinter, das Fließ, das Große, das wollte sie gar nicht wahrhaben, das erschreckte sie, das war zu kolossal für ihr kleines Herz. Vielleicht ging es ihr auch im Grunde genommen einfach zu gut, um Hunger entwickeln zu können. Ihr hatte es niemals im Leben wirklich an etwas gemangelt, ihr ausdrucksvoller Protest gegen die Bürgerlichkeit war von ebenjener behütet. Hiob jedoch, der von klein an unter Schmerzen litt, wenn er Fotos von Selbstverbrennungen sah, oder dem schwindlig wurde, wenn irgendwo auf der Welt ein unterirdischer Atombombentest das tektonische Gefüge erschütterte, wusste, was es bedeutete, gegen etwas anzukämpfen, was alles um einen herum bestimmte, auch das eigene Selbst. Die nach den bewährten Regeln jeglicher Jugendliebe funktionierende Beziehung zwischen ihm und Zante war beendet, als er sich dazu entschloss, sich für zwei Jahre in einer Gruft einmauern zu lassen.
    Dann, anfangs dort unten, allein im Dunkel und im Gestank bereits achtfach geatmeter Luft, hatte er oft an Zante gedacht, hatte ihren hell leuchtenden Leib herbeigeschrien, den feinen schimmernden Schweiß ihrer Achselhöhlen. Die sexuelle Enthaltsamkeit jedoch hatte seine Gier darüber hinwegschnappen lassen. Nur noch ein Sukkubus aus dem Fließ vermochte seine Lust zu stillen. Anfangs hatte er Widder noch gebeten, Zantes Gestalt anzunehmen, damit er diese Gestalt schänden konnte, widernatürlicher als er es mit der echten Zante je hätte wagen oder auch nur vorschlagen dürfen. Aber auch das war schnell vorbeigegangen. Widders Möglichkeiten überstiegen selbst die Vorstellungskraft eines jungen Mannes, der aus dem Kerker aufsteigt. Zante war vergangen, verweht. Verhältnismäßig verhaltenes Verhältnis, altbacken, antiquiert wie ein alter Kupferstich von anno Tobak.
    Nur eines hatte sich nicht geändert, war nicht verloren gegangen und konnte auch nie verloren gehen, und jetzt, in der Stickigkeit seiner junggesellenhaft heruntergekommenen Wohnung, stieß ihm das mit rauer Härte schmerzhaft auf: Zante Byhn war das einzige Mädchen aus Fleisch und Blut, das er je geliebt hatte. Angehimmelt mehrere, sogar geküsst einige, bei Spielchen schon im Grundschulalter. Aber geliebt, wahrhaft und körperlich geliebt nur diese eine. Und so würde es bleiben, so sah der Vertrag es vor. Auf ewig einzig – Zante Byhn.
    Jetzt war ihr Vater gestorben, der sicherlich unwissendste und machtloseste, mit ebenso großer Sicherheit jedoch auch väterlichste seiner Lehrer. Hiob musste dem nachgehen. Da hing ein Prognosticon mit dran wie scheppernde Blechdosen an einem Frischvermähltenwagen.
    Dass Sonntag war, bedeutete, dass Hiob bis zur nächsten U-Bahnstation laufen musste, um einen Kiosk zu finden, der offen hatte. Als er dort ankam, waren seine Haut und seine Kleidung ganz feucht und schmierig. Es musste eine Art von Regen oder Niesel in der Luft sein, die nicht fiel, sondern schwebte.
    Er kaufte sich die Zeitung mit dem größten Anzeigenteil und studierte sie aufblätternd und weitraschelnd auf dem Rückweg. Unter dem ganzen schwarz umrandeten Der Herr über Leben und Tod erlöste ... und Seit Christus ist klar, dass alle Rettung eine Rettung durch den Tod hindurch ist und Wenn Gott Liebe ist, dann kennt er den besten Augenblick zum Sterben im Leben eines Menschen fand er dann auch die Anzeige, die ihn anging. Sie war unterzeichnet von Wilhelms trauernder Witwe, seiner trauernder Tochter und ihrem trauernden Ehemann sowie ein paar trauernden Verwandten und besagte auf

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