Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
wieder einzuführen.
    Hiob streifte im T-Shirt, ohne eine Jacke drüber, durch die wabernde Stadt. Ab und zu regnete es, dann floss zäher, dunkelbrauner Schleim über die Bürgersteige und triefte schmatzend zwischen die Gulliroste hinab. Kopfschmerzen waren noch das Alltäglichste, was Hiob plagte in diesen Tagen. Er hatte einen sehr unangenehmen Stirnhöhlenkatarrh, der wie eine Kröte hinter seiner Nasenwurzel im Schädel festsaß, die Stimme schmal und scharfkantig machte, und der irgendwie auch mit Zahnschmerzen im hinteren Backenzahnbereich zu tun hatte. Mehrmals geriet Hiob beim Kauen das innere Wangenfleisch zwischen die Zähne. Er hatte so eigentlich andauernd Schmerzen, aber er hatte seine kleinen Helferlein, denen er jetzt wieder vermehrt zusprach. Psilocybine. Ein Paracetamolcocktail auf Morphinbasis. Ätherisch durchsetztes Peyote, das gut gegen die Zahngeschichte war.
    Widder ließ sich nicht sehen in dieser Zeit. Vielleicht hatte das was mit der Wette zu tun, vielleicht aber auch nicht. Er hatte eigentlich schon Lust auf guten Sex, die unnatürlich feuchtheiße Luft verursachte andauernd Spannung zwischen den Beinen, aber er war irgendwie zu schlaff und zu träge, um sich darum zu kümmern, Widder von sich aus herbeizurufen. Allein der Gedanke an ihre Spitzfindigkeiten überforderte ihn. Hiob verbrachte ziemlich viel Zeit damit, in der Körperhaltung einer migräneleidenden Dame auf dem Bett zu liegen.
    Mitten hinein in diese Stimmung des fin de siècle wehte dieser Brief aus dem Wiedenfließ. Er wehte tatsächlich, wurde nicht vor der Tür abgelegt. Zusammen mit ein paar welken Blättern und der Feder eines Vogels, den es auf der Erde garantiert nicht gab, trudelte er ganz früh an einem Sonntagmorgen, direkt nach einer feuchtwarm durchschwitzten Nacht durchs offene Fenster herein und blieb auf der mittlerweile Wellen werfenden Auslegware liegen.
    Der Text war kurz und kryptisch.
    Ein Mann jenes Namens trat von jener des Lebens ab.
    Hiob ließ sich ächzend aufs Bett zurückfallen und studierte den essigduftenden Zettel, indem er ihn auf Armeslänge von sich in Richtung Zimmerdecke hielt.
    Ein Mann jenes Namens trat von jener des Lebens ab.
    Ein Mann jenes Namens trat von jener des Lebens ab.
    Von jener des Lebens. Abtreten von irgendeiner des Lebens konnte man eigentlich nur von der Bühne des Lebens. Wenn die beiden »jener«s auf denselben Begriff gemünzt waren, musste der Name des Mannes also »Bühne« sein.
    ›Bühne‹? Hiob kannte niemanden, der ›Bühne‹ hieß, noch hatte er je von ...
    Byhn!
    Gemeint war nicht »Bühne«, sondern »Byhn«. Wilhelm Byhn. Großmeister.
    Der Großmeister war tot.
    Zantes Vater war nicht mehr.
    Hiob setzte sich langsam auf, wie um den jetzt einsetzenden Gedankenfluss nicht zu unterbrechen. Alles rückte wieder an ihn heran. Ein beträchtlicher Teil seines eigenen Lebens. Und sie, die Königin des Mondlichts.
    Zante Byhn war das hübscheste Mädchen in seiner Schulklasse gewesen, als Hiob 15 Jahre alt war. Nach dem Tod seines Vaters war seine Mutter mit ihm in eine vornehmere Wohngegend umgezogen. Sie war der Meinung gewesen, dem Versacken eines vaterlosen Rumtreibers in die Kleinkriminalität durch eine bessere Umgebung Einhalt gebieten zu können. Auch wollte sie Hiob von der Straße weghaben und ihn mehr für elsässische Kräutermagie und derlei naturverbundenen Hokuspokus interessieren. Aber der neuerliche Schulwechsel hatte außer einem weiteren Absinken von Hiobs zensierbaren Leistungen auch eine gewisse Isolation zur Folge. In der neuen Klasse gab es keine Typen mehr vom Kaliber Kambers, mit denen man ordentlich was losmachen konnte, ohne dass das Wort Furcht im Raum stand. So hielt Hiob lieber weiterhin Kontakt mit den jetzt ein paar Bezirke entfernten Seferis und fügte sich in seine letzte abiturientelle Klassengemeinschaft kaum noch ein. Er hatte einen gewissen Ruf als jemand, der indizierte Horrorvideos besorgen konnte, aber als er mal eines davon unter der Hand verlieh und das Tape einem schusseligen Angeber verloren ging, war auch damit Schluss. Hiob gab es auf, irgendjemandes Freund zu sein, und konzentrierte sich darauf, seinen Lehrern das Leben schwerzumachen. Den übrigen Klassenmitgliedern, denen die kurzhaarigen Karrieren als Geldzähler und Kauffrauen schon in Gesichter und Körperhaltungen projiziert waren, brachte er nichts als Verachtung entgegen. Mit einer Ausnahme.
    Zante saß immer in der letzten Reihe, egal in welchem Kurs

Weitere Kostenlose Bücher