Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
erkundigen kommt, dem schweinischen Hobbykeller auf die Schliche kommen. Also frage ich mich die ganze Zeit über: Was bedeutet ›Endlich‹ eigentlich? Und mein Kleinhirn rotiert und rotiert und rotiert und spuckt seit Neuestem dauernd aus: ›Endlich‹ bedeutet nicht nur einen Ausruf der Erleichterung, sondern auch das Gegenteil von ›unendlich‹. Verbunden mit einem Ausrufezeichen wird es dann ein Befehl, eine Anordnung, Anweisung. Endlich! Darunter der Name des Adressaten, darunter der Absender. Mehr Text ist da nicht. Du hast gefälligst endlich zu sein, Wilhelm Byhn. Absender: deine alten Kumpels von der Loge. Und dann prangt neben diesem Befehl noch der schöne siebenzackige Druidenstern – und siehe da: dem Junker Montag geht ein Licht auf. Glücklicherweise – oder unglücklicherweise, je nachdem, aus welcher Perspektive man das betrachtet – hat Junker Hiob früher vom seligen Großmeister Byhn genügend Einsicht in druidische Praxis erhalten, um diese Todesanzeige als das identifizieren zu können, was sie wirklich ist: ein Bannzauber. Welche Auflage hat die Morgenpost? Ich kenne die Größenordnung da nicht. Hunderttausend?«
»244.000 werktags, 388.000 am Sonntag.«
»Dreihundertachtundachtzigtausendmal wird dieser kleine Bann gedruckt und verteilt sich wie von Zauberhand, durch emsige Zeitungszusteller nämlich, dreihundertachtundachtzigtausendmal in der ganzen Stadt. Dadurch soll ein dichtes astrales Netz gewoben werden, das den zu Bannenden garantiert in Schach hält. Niemand startet eine solche Aktion ohne Grund. Sie fürchten, dass Wilhelm Byhn in seinen Forschungen weit genug vorgedrungen ist, um von den Toten wiederaufzuerstehen. Stimmt’s oder hab’ ich nur gewonnen?«
»Sie sind ein erstaunlich überspannter Mann, Junker Montag. Wirklich erstaunlich.«
»Im Gegenteil.« Hiob erhob sich mit breitem Grinsen. »Ich hab mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt. Wenn jemand mir vorher erzählt hätte, dass so viel Reden gut gegen Zahnschmerzen ist, hätte ich ihn ausgelacht.«
»Das war der Tee.«
»Hm?«
»Der Tee, den ich Ihnen kredenzt habe, ist gut gegen Zahnschmerzen.«
»Dann vielen Dank, Hellberger. Ich werd mich revanchieren. Wenn Ihnen in den nächsten Tagen kein Wiedergänger nach dem Leben trachtet, dann haben Sie das einzig und allein mir zu verdanken. Wir sehen uns nachher noch.«
Hiob deutete eine Verbeugung an und verließ die Räumlichkeiten der Großloge. Draußen rieb er sich tatendurstig die Hände. (Irgendwas war tatsächlich in dem Tee dringewesen, aber es fühlte sich gut an.) Er wusste jetzt, was gespielt wurde und womit er es zu tun hatte. Wenn der niedliche Bann-Netz-Zauber der Druiden wirklich ausreichen würde, um den Großmeister tot zu halten, hätte das Wiedenfließ Hiob nicht auf die ganze Sache hier hingewiesen. Was er jetzt noch rausfinden musste, war, wann der Spuk beginnen würde, wo er beginnen würde, unter welchen Umständen er beginnen würde und was Hiob eigentlich dagegen machen konnte.
Da es mittlerweile zwölf Uhr mittags war und der Inder zwei Häuser weiter gerade aufmachte, genehmigte Hiob sich einmal Rogan Josh . Lammfleisch mit Reis und scharfer Curry-Paprikasoße war sicherlich nicht jedermanns liebste Mahlzeit auf nüchternen Magen, aber Hiob genoss das späte Frühstück und protzte mit einem dicken Trinkgeld herum. Gut essen und mit dicken Trinkgeldern herumprotzen waren bisher die einzigen beiden Methoden, die ihm eingefallen waren, um den Geldsegen aus dem Ince-Deal wieder abzubauen.
Er fuhr wieder nach Hause, denn noch war er ja kein Stück beerdigungskompatibel gekleidet. In der Wohnung angekommen, nahm er sich erst mal seine Referenzbibel vor. Diese Ausgabe der Bibel war auf schön überschauliche Weise in lauter kleine Kapitelchen mit prägsamen Überschriften gegliedert. Die von Wilhelm Byhn so außerordentlich geschätzte Textstelle in Lukas 21 war unter der Überschrift Die Wiederkunft des Sohnes des Menschen gefasst. Wiederkunft , aha. Wunderbar. Zwei Querverweise waren neben dieser Überschrift angegeben: Mat 24/29-36 und Mark 13/24-32. Hiob machte sich ans Blättern.
Matthäus 24/29. Dieselbe Überschrift:
Seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her? Das klang ja fast, als beabsichtigte Krebs-Byhn eine Art Zombie-Invasion. Aber das war völlig ausgeschlossen. Von einer Inundation war hier nie die Rede gewesen. Ein Prognosticon war ein Prognosticon und musste deshalb per definitionem überschaubar
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