Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Richtung auf das Fenster zur Nachbarshütte.
Friederike hatte ihre Kinder umklammert, obwohl diese gar nicht Schutz bei ihr gesucht hatten. Sie hielt sich wohl eher selbst an ihnen fest und starrte dem mampfenden George flehentlich ins Gesicht: »Was ist denn los? Was ist denn passiert? Greifen Wölfe an? Sind wir umzingelt?«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Ma’m«, mampfte George. »Ich bin ja bei ihnen. Wenn’s hart auf hart kommt, gehen Sie eben mit den Kindern runter in den Keller.«
Thilo hatte jetzt genug. Er verstand überhaupt nichts mehr. Irgendetwas ging draußen in der Weihnachtsnacht vor sich, und dieses Irgendetwas war offensichtlich gefährlich. Den Hessen hatte es zumindest schon das Licht ausgeblasen. Und die beiden jungen Spunde hier, die seine Familienruhe infiltriert hatten, wussten wohl über die Gefahr Bescheid und machten sogar gemeinsame Sache oder zumindest so ungefähr, und es war nur ein ulkiges Spiel für sie, was aus ihm und den Kindern wurde.
Er ging unruhig in der Hütte auf und ab, und als er zum vierten Mal an Georges Seesäcken vorbeikam, machte er sich über sie her. Ein Gewehrlauf kam zum Vorschein, zwischen Ästchenbündeln und zerstoßenen Nussschalen. Wie in Zeitlupe zog Thilo das Gewehr aus dem Sack. Niemand beachtete ihn. Nick montierte schwitzend, George aß mit dem Rücken zu Thilo, Friederike und die Kinder rangen miteinander und plapperten durcheinander. Es war eine gottverdammte Pumpgun, eine absolut mörderische Waffe, nicht für die Jagd, sondern eher zum Zerfetzen von Menschen gemacht. Ein Killer. Ein Ökoterrorist. Mit drei raschen Schritten war Thilo neben ihm.
Onck.
Stöhnend kippt George mitsamt seinem Stuhl seitlich um, Apfelstücke sprühen zerkaut zwischen seinen Zähnen hervor. Schwer schlägt er auf, poltert über den dunklen Holzboden. Thilo Sarpat reißt das Gewehr in den Anschlag, dass die Mündung auf den am Boden Liegenden zeigt, und schreit: »Reisig, ja?! REISIG!!!«
Da sind wir wieder, liebe Kinder. Von Anfang an habt ihr es natürlich schon geahnt, aufmerksame Zuhörer werden bei dem Wort Langhaariger schon hellhörig. Natürlich ist er’s, unser Hiob. Das sind seine langen Haare, seine jetzt blutige Schläfe, sein kurioser alter Mantel, der »Dietrich« war in Wirklichkeit Magie, und die Pumpgun hat ihm Kamber Seferi über gewisse Kontakte besorgt. Es ist Ruprechtsnacht heute, es gilt, einen Punkt abzustauben. Und ihr solltet jetzt besser ins Bettchen gehen, liebe Kinderchen, denn von nun an ist das hier keine schöne Geschichte mehr für Kinder. Wir sind hier nicht bei Spielberg. Wir werden auch nicht ... subventioniert.
Ach ja: George Bailey. Ist James Stewarts Rollenname im schönsten Weihnachtsfilm aller Zeiten: Frank Capra’s It’s a Wonderful Life .
And it is, indeed, isn’t it?
Friederike schreit gellend auf, sie hat Apfelspucke im Gesicht und auf dem Dekolleté. Auch die Kinder sind über die Gewalt entsetzt. Nicks Blitzlicht brandet brausend durch den Raum. Thilo legt zur Abwechslung mal auf ihn an. »Schluss jetzt! Ich will jetzt wissen, was hier gespielt wird. Jetzt ist Schluss hier!!« Das Auge noch hinter dem Sucher, hebt Nick wie eine Geisel beide Hände.
Hiob krümmt sich stöhnend auf dem Boden zusammen. Blut verklebt seine Haare. Was hier gespielt wird, du Fettbacke?, denkt er sich. Wenn du das große Spiel kapieren könntest, würdest du kollabieren vor Angst.
»Okay, okay«, versucht Nick zittrig, den Zünder aus der Granate zu ziehen, »nicht schießen, keine Aufregung. Ich kann ja versuchen, das zu erklären, was ich weiß, aber viel ist das nicht. Ich vermute, George weiß mehr als ich über die Sache.«
»Also kennt ihr euch?«
»Nein. Ich schwöre! Wir sind uns noch nie begegnet!«
»Also los, dann rede. Los, erklär mir, warum ihr zwei Arschficker euch ausgerechnet meine Hütte zum Arschficken ausgesucht habt.«
»Hör auf, mit dem Gewehr auf ihn zu zielen, Schatz.«
»Halt du’s Maul, Nutte!« Die Lalligkeit seiner Sprache erschreckt Thilo selbst. »Ich warte, Nick.«
»Okay, okay, okay.« Der Sonnyboy-Lockenkopf schwitzt wie in der Sauna. »Ich bin wirklich Fotograf. Ich komme auch aus Regensburg, alles wahr, aber ich arbeite nicht für eine Zeitung mit Touristikseite und so. Wir haben ein neues Online-Magazin für Okkultismus und Esoterik gegründet. Nennt sich okKULT. Brandheiße Sache, brisante Storys, die nicht durch die staatliche Zensurmaschinerie laufen, bevor sie auf Sendung gehen. Die
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