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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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weit von hier, ist es Brauch, dass der gabenbringende Sankt Nikolaus einer vermummten Gestalt folgt, dem Krampus, der eine Teufelsmaske, klirrende Ketten und eine ellenlange Rute trägt. In Pommern dagegen treiben der Schimmelreiter und der Bärenführer – zwei Winterdämonen – ihr blutiges Unwesen. Wenn in den winterlichen Klopf- und Lurnächten die Nachtgespenster der Wilden Jagd mit heulenden Wölfen und krächzenden Raben umherstreifen, kann man sie nur mit Lärm abwenden, mit Glockenläuten und Schießen. In der Heiligen Nacht dürfen Bauern nicht den Stall betreten, denn in dieser Nacht erzählen sich die Tiere, welche Menschen im nächsten Jahr sterben werden. Dieselbe Nacht wird im Norden Julnacht genannt. In ihr gehen die Toten um, und wenn die Lebenden sich nicht in Acht nehmen, werden sie auf die Asgardsreise mitgenommen. Ruprecht, der Ruhmprächtige, der große Wanderer, ist der vorherrschende Dämon der Zwölfnächte, die auch Weihnachten mit umfassen. Für ihn gibt es viele seltsame Namen, ob nun Pelznickel, Bullerklaas, Stapklos, Pelzmärtel, Aschenklaas oder eben einfach nur Nikolaus – wehe sei denen, deren Taten nicht gut waren das ganze Jahr über. Oder, wie es in einem uralten Lied unserer Vorfahren heißt: ›Heilig der Tag, heilig die Nacht, doppelt heilig die Nächte zwischen den Jahren.‹ Das bedeutet, dass hier alles verdoppelt auf jeden zurückfällt. Wir werden hier Zeugen einer Vergeltung jenseits jeglicher Christlichkeit, Thilo. In einer Nacht wie dieser heute rächt sich die uralte Geisterwelt ... für die Schändung durch das Christentum ... an christlich fixierten Menschen wie uns. Viel Spaß mit deinem niedlichen Gewehr.« Erstaunlich, wie das Reden Nicks Situation verändert hat. Er hat jetzt die Kontrolle, und er weiß es. Familie Sarpat starrt ihm fahl auf die Lippen, Thilo hat kaum noch die Kraft, das Gewehr zu halten.
    »Und ... womit ... genau«, stammelt er, »haben wir’s ... hier zu tun?«
    »Keine Ahnung«, gibt Nick zu. »Darüber weiß wahrscheinlich George mehr, denn er ist wohl aus demselben Grund hier wie ich.«
    »Nicht ganz«, ächzt George, der mit blutverschmierter rechter Gesichtshälfte auf den Tisch gestützt steht und schwer atmet. »Ich bin nicht hier, um den Ruprecht zu fotografieren, sondern um ihn in die ewigen Jagdgründe zurückzuschicken. Tatsache ist jedoch – so lustig das auch klingt –, dass wir alle, die wir uns hier drinnen gegenseitig Gewehrmündungen an den Bauch halten, auf derselben Seite stehen. Die Gegenseite müsste jeden Augenblick hier eintreffen.«
    »Weil du sie angelockt hast mit deinen Lichtzeichen, du irrer Scheißer!«, schreit Thilo und wackelt wild mit der Pumpgun rum.
    George grinst. »Daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Finde dich damit ab. Ich war ja von Anfang an dagegen, dass ihr euch hier aufhaltet, wo ich bin. Jetzt steckt ihr mit drin. Tut mir sehr leid.« Jetzt will Thilo ihm wirklich das Grinsen wegschießen, aber Friederike lenkt ihn ab.
    »Was ist mit den Hessen?«, fragt sie.
    »Vergessen Sie die Hessen, Ma’m. Die leben nicht mehr. Und wahrscheinlich hat einer von Ruprechts Zwingkobolden nach der Blutorgie versucht, den Generator zu vögeln, und dabei ist dann der Strom weggeblieben. Diese Wesen lieben Licht und Wärme und Strom ... und Frauen und Kinder und Familien und so. Ihr Leute habt jetzt nur noch eine Chance: mich. Und dafür brauch ich mein Gewehr. Mein Gewehr und meine Reisigruten. Also was ist jetzt, Thilo? Bleiben wir so stehen und sterben, oder verteidigen wir deine Brut und kämpfen?«
    Thilo ringt mit sich. »Das Gewehr hilft gegen einen Dämon?«
    »Ich brauche ihn nicht zu vernichten, es reicht, wenn ich ihn zurückschicke. Ich hab mir das Gewehr speziell dafür besorgt. Was immer du von mir glaubst – es ist noch ganz jungfräulich.«
    Thilo zögert noch immer. Gibt er das Gewehr jetzt aus der Hand, gewinnen die beiden Verrückten die Übermacht, nehmen vielleicht die Kinder als Geiseln, vergehen sich an seiner Friederike und jagen ihn nackt zum Erfrieren in den Schnee. Hat’s alles schon gegeben, verdammter Schiet, hat’s alles schon gegeben.
    In diesem Augenblick ein Chor dreier merkwürdig verzerrter Stimmchen von der Tür her, durch Schrank- und Türholz gedämpft: »Von drauß, vom Walde, komm’ wir her, wir müssen euch sagen, es weihnachtet sehr! Nun sprecht, wie wir’s hierinnen find’! Sind’s gute Kind’, sind’s böse Kind’?« Mehrere dünne Knöchelchen pochen

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