Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
beschleunigte Hiob mit unfassbarer Wucht rückwärts gegen die Tür, die immer noch standhält. Aller Atem, auch im Blut gelöster Sauerstoff, wird Hiob in einem dampfenden Sprühregen aus dem Leib getrieben. Ihm wird nicht, wie man immer so schön sagt, schwarz vor Augen, sondern rote und grüne kubistische Formen schieben sich von links und rechts vibrierend in sein Sichtfeld, bis da nur noch ein altes 3-D-Bild ohne Brille ist, und ein röhrendes Keuchen, das doch wohl unmöglich von ihm sein kann, kratzt an den Ohren. Die Kälte des Schnees, die ihn harsch zu ersticken droht, bringt ihn wieder zu sich. Erst als er aufschaut, wird ihm klar, dass ihm mindestens eine Minute seines Lebens fehlt, denn nicht nur ist der Pelzmärtel offensichtlich nicht tot, er ist auch nicht mehr in Sichtweite. Die blutversprühte Spur eines Betrunkenen führt zurück in den Wald.
Hiob richtet sich auf. Falls seine Wirbelsäule gebrochen ist, ist es weniger schlimm, als man allgemein behauptet, und alle Querschnittsgelähmten sind Schwächlinge.
Mit dem Gewehrkolben hämmert er gegen die Tür. Keine Reaktion. »Macht endlich auf, ihr Scheißer. Seid ihr denn verrückt geworden? Ich bin’s, George!« Keine Reaktion. »Ich hab Thilo hier bei mir. Er ist verwundet. Er erfriert, wenn ihr nicht aufmacht.« Endlich. Mit vereinten Kräften schieben Friederike und die Kinder den Schrank weg. Ihr dreistimmiges Stöhnen und Keuchen ist zu hören. Hiob schlüpft durch, sobald Platz genug ist.
»Wo ist Thilo?«, hetzt Friederike, deren Gesicht aussieht wie das ihrer eigenen Schwiegermutter. Die Kinder wirken im Vergleich zu ihr relativ munter und frisch.
»Ich hab keine Ahnung«, lügt Hiob. »Irgendwo im Wald verschwunden. Wahrscheinlich schlägt er sich nach Sicheln durch, der feige Hund. Das ist ja übrigens eine ganz besonders hervorragende Taktik: Ihr Mann stürzt sich nach draußen in den Krieg, und Sie verbarrikadieren hinter ihm die Tür, damit er ja nicht wieder lebend zurückkehrt, oder wie war das gedacht?«
»Wir ... wir haben die Schüsse gehört ... und Schreie ... und ... und ...«
»Wo ist Nick?«, fragt Nils.
Hiob zuckt die Schultern, ein schmerzhafter Fehler. »Auch verschwunden. Wahrscheinlich haben ihn die Gespenster geholt. Er hatte ja nichts mit, womit er sich hätte verteidigen können. Wo ist eigentlich das Jagdgewehr abgeblieben?«
»Weiß nicht«, lügt diesmal Friederike. Hiob kann das Gewehr hinter ihr an der Wand lehnen sehen. Sie hatte es wohl an sich genommen und nur abgestellt, um den Schrank zu verschieben. Er will danach greifen, sie verstellt ihm instinktiv den Weg, grob schiebt er sie zur Seite. Sie ergibt sich. Hiob prüft das Gewehr, mit dem er die Touristen empfangen hatte, erneut.
»Gibt es dafür eigentlich Ersatzmunition?« Keine Antwort. »Wir haben es mit mindestens noch zwei Dämonen zu tun. Wir werden jede Kugel brauchen.« Friederike geht – mit jedem Schritt kleiner werdend – zu einem der Schränke und holt einen ganzen Karton voller Munition heraus. »Holla«, entfährt es Hiob. »Ist wohl ein echter Waidmann, der Thilo, was?« – »Wir sind nicht die Einzigen, die diese Hütte mieten. Außerhalb der Weihnachtssaison ist es eine Jagdhütte.« – »Gut für uns.«
Hiob lässt sich jetzt Zeit zum Nachladen. Für seine Pumpgun hat er nur noch vier der großen, roten Zylinder mit den goldfarbenen Köpfen. Sie passen alle hintereinander in den Schacht. Das Jagdgewehr wird mit jeweils einem Zehner-Steckmagazin geladen. Mindestens achtzig solcher Magazine sind vorhanden. Genug für Korea Huntington, oder so ähnlich. Die Frage ist halt nur, ob dieses relativ kleine Kaliber von den Dämonenwesen überhaupt bemerkt wird.
»Okay. Wir arbeiten jetzt alle zusammen, dann haben wir eine gute Chance. Ihr werdet jetzt den Schrank ...«
»Warten Sie, bitte«, unterbricht ihn Friederike. »Bevor meine Kinder und ich Ihnen helfen sollen, müssen Sie uns erst noch zwei Fragen beantworten.«
»Ich hab schon gesagt, dass ich nicht weiß, wo Ihr Mann ist.«
»Das meine ich nicht. Drei Fragen. Die erste fällt mir gerade ein: Haben Sie auf meinen Mann geschossen?«
»Quatsch. Warum hätte ich das tun sollen?«
»Er hat Sie geschlagen.«
»Ach scheiße.«
»Zweitens: Was ist das eigentlich für rotes Zeug an den Ruten gewesen?«
»An welchen Ruten?«
»Stellen Sie sich doch nicht doof: an Ihren Reisigruten. Die rote Farbe.«
»Na, Blut. Was denken Sie denn? Ketchup?«
»Was für Blut?
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