Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Fotografen alles klasse.
»Der bringt’s nicht mehr«, konstatiert Hiob über den Familienvater. »Wir können nur hoffen, dass der Schnee die Leiche zugedeckt hat, wenn Frau und Kinder morgen die Hütte verlassen.«
Nick geht rum und knipst die zerknautschten Gnomkutten aus allen möglichen Perspektiven. Würde der Weihnachtsbaum hier draußen nicht leuchten, wäre jeder seiner Blitze ein kleiner Schock. »Ich würde dich gerne interviewen, George. Du weißt schon – exklusiv, mit Fotos. Das hier macht uns beide berühmt.«
»Ja, das geht hier richtig ab, ne?«
»Was waren denn das für Dinger?«
»Zwingkobolde. So ’ne Art Vorhut. Sagte ich doch schon. Wenn du interviewen willst, musst du besser zuhören lernen.«
»Vorhut für Ruprecht? Kommt Ruprecht auch noch?«
»Keine Ahnung, ich hoffe nicht. Mir reicht schon dieses Pelzmärtelding hinter dir.«
»Wie- hinter miaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhh-aiiiiiii-rrrrr-ooooooorrrrr-ghhh!«
Das Ding ist ziemlich plötzlich aus gekauerter Haltung hinter dem Weihnachtsbaum hervorgesprungen und sieht ein bisschen aus wie ein zottiger, aufrecht gehender Wolf mit einem behaarten Kaimanschädel. Es ist größer als Nick. Hiob nutzt die Zeit, die das Vieh braucht, um sich durch Nicks Oberkörper zu shredden. Er rennt zu seinem Gewehr, das Thilo da hinten in den tiefen Schnee fallen gelassen hat, und beginnt mit der verzwickten und ganz sicher nicht für vor Nervosität und brutaler Kälte zitternde Hände gedachten Aufgabe, die Munitionsröhre wieder aufzustocken. Triefend vor Blut und mit Menschenhaut und Innereienfetzen wie mit Lametta behangen, kommt das Ding schaukelnd auf Hiob zu. Der hiebt ihm aus der Hüfte drei Großkalibergeschosse in den Pelz. Der Rückstoß bricht Hiob fast die Rippen, aber das Monster ist ebenfalls fertig. In einer stinkenden Fontäne merkwürdiger Flüssigkeiten bricht es zusammen. Hiob geht zu ihm hin und setzt ihm noch einen Schuss von oben in den Schädel. Reife Melone. Dieser letzte Schuss hallt lange durchs Mangfallgebirge. Ungerührt fällt reiner Schnee.
Auch für den Fotografen kommt jede Hilfe zu spät. Da sein Unterkiefer fehlt, sieht seine Zunge irgendwie obszön aus. »Scheiße«, sagt Hiob, »ihr wolltet ja nicht auf mich hören.« Er sucht im zerwühlten Schnee nach den Kameras, rollt mit frierenden Fingern aus beiden die Filme aus und hält sie gegen die lieblichen Weihnachtsbaumkerzen , um sie zu belichten. »Das hier wird niemanden berühmt machen.«
Als er gerade anfängt, mit seinen klobigen Winterstiefeln Schnee über die beiden Toten zu schippen, sieht er in der weißlichen Finsternis der umstehenden Tannen eine Bewegung. Etwas Großes. Dann noch eine Bewegung, weiter links. Scheiße, die Party ist noch lange nicht vorbei.
Links hinten bricht ein Pelzmärtel durchs Gehölz und kommt mit wahnsinniger Geschwindigkeit und rudernd hechelnden Körperbewegungen auf Hiob zu. Der hat in diesem Moment nicht die Nervenstärke, dem Ansturm des Ungeheuers mit kalter Schützenpräzision zu begegnen. Danebenschießen bedeutet Tod. Hiob spurtet los, vor dem Monster weg, Richtung Hütte. Wenn er reinkommt, das Ding gegen die Tür prallt und Hiob dann wieder raustritt, wenn es sich gerade aufrappelt, hat er eine bessere Gelegenheit zum gefahrlosen Zielnehmen als jetzt. Das Monster ist schnell, aber schwerer als Hiob, und sinkt deshalb tiefer im Schnee ein. Japsend hält Hiob auf die wild hin- und herschwankende Hütte zu, versucht, die Tür mit seinem Körper zu treffen, und trifft. Es gibt ein dröhnendes Rummsen, Schrankmaterial knirscht schrammend über Holz, Hiob wird von der Wucht seines eigenen Anlaufs zurückgeschleudert in den Schnee. Genau in diesem Moment ist das Ungeheuer über ihm, springt dorthin, wo er eben noch aufrecht stand, und knallt ebenfalls gegen die schwer verrammelte, ächzende, aber unnachgiebige Tür. Der Krokodilswolf fällt zurück und prallt mit dem Rücken auf Hiobs Bauchseite. Beide, der Mensch und der Dämon, rollen sich jetzt schreiend ineinander verkeilt im Schnee. Mit dem Gewehrlauf hebelt Hiob ein paar fast fingerlange Zähne aus dem heiß nebelnden Rachen, dann fetzt ihn ein Prankenhieb rückwärts durch die Luft. Noch im Fliegen kriegt Hiob endlich seinen Finger wieder in den Abzugbügel und feuert dem in einer Art Lawine nachsetzenden Monster die Vorderseite der Schnauze vom Schädel. Schwarzes, plörriges Blut schwappt über den Schnee hin. Gleichzeitig dröhnt der vom Rückstoß zusätzlich
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