Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
ja auch nicht schlafen, sondern Wache halten.«
»Mir scheint, wir lernen schon wieder eine Wesensart von Ihnen kennen.«
»Und die wäre?«
»Sie sind unbarmherzig und ohne Mitgefühl.«
Sabrina lächelte. »Jetzt übertreiben Sie aber.«
12
F riedrich von Lausitz stand in seinem Weinkeller inmitten hunderter Barriquefässer aus französischer Eiche. Er zog bei einem Zweihundertfünfundzwanzig-Liter-Fass einen Spund heraus, entnahm mit einer langen Glaspipette, die von italienischen Winzern
ladro
(Dieb) genannt wird, eine Probe, füllte diese in ein Glas, schwenkte es, roch daran, hielt es gegen das Licht, betrachtete die Schlieren, die träge am Glasrand hinabliefen, nahm schließlich einen Schluck, schlürfte und schmatzte, ließ den Wein im Mund erwärmen, bis auch die flüchtigen Aromen über den Rachen den Weg in die Nasenhöhle fanden und die letzten Geheimnisse des noch jungen Weines preisgaben.
»Che profumo, che carattere!«, zeigte sich Lausitz höchst erfreut. »Ein wunderbarer Jahrgang.«
Weil er wusste, dass auch Serafino Panepinto viel von Wein verstand, ließ er ihn vom heranreifenden Brunello* probieren.
»Meraviglioso«, murmelte dieser anerkennend, »magnifico.«
Panepinto war einen Kopf kleiner als Lausitz, hatte einen grauen Anzug an, mit einem zur Krawatte passenden Einstecktuch. Er sah aus wie ein erfolgreicher Geschäftsmann. Was aber nicht wirklich stimmte. Ein Geschäftsmann, das war er schon, aber spezialisiert auf ganz besondere Geschäfte. Außerdem war Panepinto ein Angestellter von Lausitz, nicht irgendein Angestellter, sondern seine rechte Hand und sein einziger Vertrauter.
Dr. Friedrich von Lausitz, mit blauem Blazer und Khakihose im gepflegten Freizeitlook, setzte sorgfältig den Stopfen auf das Spundloch und stellte fest, dass der Wein in den Barriquefässern vom Kellermeister wieder nachgefüllt werden müsse. »Der Wein atmet durch die Fassdauben, aber er verdunstet auch«, sagte er, um schließlich die von Panepinto längst erwartete Frage zu stellen: »Allora, was gibt es zu berichten?«
»Tutto a posto«, fing Panepinto so an, wie er das fast immer tat. Lausitz setzte sich auf einen Holzschemel und hörte zu. »Die beiden Lkw vom Speditionsparkplatz in Florenz sind letzte Nacht umgeladen worden. Der Diebstahl wurde erst vor zwei Stunden bemerkt. Mittlerweile ist die Weinlieferung längst in Livorno auf dem Schiff. Einige tausend Flaschen Felsina*, Isole e Olena*, Poliziano*.«
»Fast zu schade für den amerikanischen Markt«, stellte Lausitz mit leichtem Bedauern fest.
»Aber überaus einträglich.«
»Wohl wahr. Was macht die Fuhre aus dem Piemont?«
»Ist alles in die Wege geleitet, sie wird ihren Bestimmungsort in Deutschland nicht erreichen.«
»Perfetto, Serafino, das höre ich gerne. Ich liebe es, Besitzstände umzuverteilen. Wie sagt der Philosoph? Panta rhei, alles fließt! Das bringt mich zu meinem Lieblingsprojekt. Wie kommen wir mit der Tenuta del Leone voran? Ich habe Luca Pertini gestern kondoliert und mein Angebot erneuert. Aber ich fürchte, er hat nicht verstanden.«
»Eva-Marias Tod hat nichts bewirkt?«
»Sieht ganz so aus. Aber wahrscheinlich steht er noch zu sehr unter Schock.«
Serafino Panepinto sah nachdenklich auf seine manikürten Fingernägel. »Wir müssten ihm andeuten, dass das vielleicht kein Unfall war. Und dass sich so etwas jederzeit wiederholen kann.«
Lausitz nickte. »Andeuten, ja, das könnten wir. Nur, wie lässt sich diese Botschaft überbringen?«
»Es gibt Mittel und Wege, ich werde darüber nachdenken«, antwortete Panepinto.
»Ich möchte die Tenuta del Leone haben, koste es, was es wolle.«
»Ad ogni costo!«
Lausitz roch versonnen am ausgetrunkenen Glas, das er immer noch in den Händen hielt. »Konzentrierte Frucht, Veilchen«, beschrieb er entzückt seine Sinneswahrnehmung, »und etwas Leder.«
»Eva-Maria saß nicht alleine im Auto«, erwähnte Panepinto.
»Ich weiß, du hast es mir erzählt. Sabrina war ihr Name, oder? Sabrina Valentino, eine entfernte Cousine von Eva-Maria aus Amerika. Wirklich erstaunlich, dass sie diesen Crash überlebt hat.«
»Ja, sehr erstaunlich, fast unverletzt. Aber sie hat eine Amnesie, kann sich an nichts mehr erinnern.«
»Schön für sie.«
»Aber vielleicht stirbt sie doch noch, das kann man nie wissen«, gab Panepinto zu bedenken, »zum Beispiel an einem unerwarteten Blutgerinnsel.«
»Che sarà, sarà. Das Schicksal dieser Sabrina Valentino ist mir ziemlich egal.
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