Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Wichtig ist nur, dass Pertinis Tochter, sein einziges Kind, nicht mehr am Leben ist. Wenn er begreift, dass sein Leben keine Perspektive mehr hat und dass er zudem einer fortwährenden Bedrohung ausgesetzt ist, dann wird er hoffentlich verkaufen.«
»Er wird es begreifen, dafür sorge ich.«
»Sehr schön, Serafino, ich weiß, dass ich auf dich zählen kann …« Fast im gleichen Atemzug sagte er: »Mit einem Hauch von Tabak.«
Serafino Panepinto schaute verständnislos. »Scusi?«
»Der Brunello, mein Lieber. Waldbeeren, Veilchen, Leder und ein Hauch von Tabak. Wirklich sehr viel versprechend.«
13
A uf der Fahrt mit dem Leihwagen von Turin nach Alba kämpfte Hipp mit der Müdigkeit. Zwar war er in der vergangenen Nacht trotz des unbequemen Stuhls zwischenzeitlich eingenickt, aber er hatte sich schon mal frischer gefühlt. Immerhin hatte Sabrina gut geschlafen. Damit war dieses Opfer nicht ganz umsonst erbracht. Denn dass es keinen gewalttätigen Besucher abzuwehren galt, davon war er sowieso ausgegangen. Heute früh hatten sie wie bereits gestern mit Sabrinas Vater in Kalifornien telefoniert, wo es spät am Abend war. Sabrina liebte diese Gespräche »mit dem fremden alten Mann«, dessen Stimme ihr so vertraut war.
Er fuhr über Poirino und Canale die Landstraße nach Alba, schon deshalb, weil er keine Autobahnen mochte, und außerdem hielten ihn die vielen Kurven wach. Ihm fiel das Buch ein, in dem er letzte Nacht einige Kapitel gelesen hatte. Vor allem die Geschichte über die Marchesa Giulia Falletti hatte ihm gefallen. Schon amüsant, dass der große Barolo* auf eine gebürtige Französin zurückging. Giulietta Vitturnia Colbert di Maulévrier hieß sie mit vollem Namen, verheiratet mit dem Marchese Falletti, der 1838 starb und ihr nicht nur die Burg von Barolo, sondern auch einen riesigen Grundbesitz mit Weinbergen hinterließ. Die Marchesa ließ sich von den Bordeaux-Weinen ihrer Heimat inspirieren und veranlasste, dass ihr Nebbiolo* trocken ausgebaut wurde, nicht lieblich, wie bisher in der Langhe üblich. Sie versicherte sich dabei der Dienste des französischen Weinexperten Oudart, der eigentlich für Camillo Benso tätig war, den legendären Grafen von Cavour, der später als Ministerpräsident des Königreichs Piemont-Sardinien den italienischen Nationalstaat mit begründete. Auch wenn der junge Graf, der im Ruf stand, ein Frauenheld zu sein, überhaupt nicht zur erzkatholischen Marchesa Falletti passte, waren die beiden dennoch eng befreundet. Und so kam es, dass unter der Ägide der Marchesa der erste echte Barolo entstand, der bald in langen Karawanen von Ochsenkarren, von denen jeder mit einem großen Weinfass beladen war, nach Turin an den Hof von König Carlo Alberto geliefert wurde. Aus dem König der Weine, wie der Barolo im Piemont genannt wird, wurde der Wein der Könige. Übrigens hatte die Karawane der Marchesa immer genau dreihundertfünfundzwanzig Karren – so viele Tage wie das Jahr minus die vierzig Tage Fastenzeit. Und den Wein, den benannte sie nach ihrer Burg: Barolo.
Barolo, da wollte Hipp heute als Erstes hin. Das heißt, der Ort interessierte ihn weniger, vielmehr die Straße, die ganz in der Nähe von Monforte d’Alba nach Grinzane Cavour führte, und da speziell eine Kurve, unter der sich ein Weinberg befinden musste.
Eine gute Stunde später parkte Hipp sein Auto am Straßenrand. Er ging die kurze Strecke zurück, wo die durchbrochene hölzerne Leitplanke mit zwei Stecken und einem roten Band gekennzeichnet war. Hier also musste es passiert sein. Auf der Straße waren Bremsspuren zu sehen, durch die Rebstöcke zog sich eine Schneise der Verwüstung nach unten, zu einer Stelle, wo es offenbar gebrannt hatte. Weiter links sah man noch eine scharfe Kurve, von der aus vermutlich die Sanitäter und die Polizei zum Wrack vorgedrungen waren. Jedenfalls war auch dort alles zerstört. Irgendwie musste man ja später das Auto aus dem Weinberg geschafft haben.
Hipp entdeckte zwischen den Rebstöcken einen hageren Mann mit einer seltsamen Kopfbedeckung, die entfernt an einen Strohhut erinnerte. Das musste Cherubino sein, jener Weinbauer, der Sabrina aus dem zerstörten Auto gezogen hatte, kurz bevor das Wrack explodiert war.
Hipp drehte sich um, setzte sich auf die noch intakte Leitplanke direkt neben der Unfallstelle und schaute sich die Straße an. Er schloss die Augen, stellte sich den Fiat vor, wie er mit überhöhter Geschwindigkeit von oben auf ihn zukam. Er glaubte den
Weitere Kostenlose Bücher