Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
schwarz«, sagte Viberti, »die Schurken kommen sicher nicht aus Alba.«
Dass Viberti wenig zur Aufklärung des Weindiebstahls beitragen würde, davon war auch Hipp überzeugt. Schon deshalb, weil es in seinem Verantwortungsbereich grundsätzlich keine Verbrecher zu geben schien.
Der Maresciallo der Carabinieri, ein Dienstgrad, der einem Vice Ispettore entsprach und zu den Unteroffizieren zählte, setzte die Uniformmütze auf. »Arrivederci. E mille grazie per l’invito!«
17
E inige Tage später war Hipp am frühen Morgen mit dem ersten Zug von Turin über Siena nach Montalcino gefahren. Gerade noch rechtzeitig war er auf dem Friedhof San Giorgio eingetroffen, um Eva-Marias Eltern mitfühlende Grüße von Sabrina und ihrem Vater auszurichten, der allerdings kurz zuvor selber bei Luca Pertini angerufen hatte. Jetzt stand Hipp etwas abseits der Trauergemeinde, so richtig gehörte er ja nicht dazu. Er hatte wohl als Einziger Eva-Maria nicht einmal gekannt. Aber er wollte einen Eindruck gewinnen von ihrer Familie, von den Freunden, wollte sehen, wo sie aufgewachsen war – und wohin sie nie mehr zurückkehren würde. Pater Sebastiano faltete die Hände. »Siamo qui riuniti per congedarci da Eva-Maria Pertini …«
Hipp hörte den salbungsvollen Worten des Paters nur unaufmerksam zu. Was er sah, interessierte ihn viel mehr. Zum Beispiel, dass Luca Pertini vor wenigen Minuten einem groß gewachsenen blonden Trauergast den Handschlag verweigert hatte. Oder dass Fabri Angelo, den Hipp zuvor begrüßt hatte, von Eva-Marias Eltern liebevoll in die Arme genommen wurde.
»Ci chiediamo il perché. Solo il nostro Signore sa la risposta, il nostro Dio …«
Ob unter den Trauergästen auch der Freund war, von dem sich Eva-Maria erst vor kurzem getrennt hatte und von dem ihre Eltern nichts wussten? Jener Giovanni Martino aus Castellina in Chianti, den Fabri für einen Stronzo hielt und der ähnlich wie sein Vater zur Aggression neigte? Hipp suchte nach einem jungen Mann, der keinen vertrauten Kontakt zu seinen Nebenpersonen hatte. Zwei, drei Kandidaten fielen ihm ins Auge. Er nahm sich vor, nach der Trauerfeier Fabri zu fragen. Von Sabrinas Vater in gewisser Weise offiziell in die Familie eingeführt, war er hinterher auf die Tenuta del Leone eingeladen. Den blonden Trauergast würde er dort wohl ebenso wenig antreffen wie Giovanni.
Pater Sebastiano bekreuzigte sich. »In nome del Padre, del Figlio e dello Spirito santo …«
Hipp dachte an seine Theorie, dass der Wagen von Eva-Maria und Sabrina nicht zufällig von der Straße abgekommen war. Was wäre, wenn wirklich jemand versucht hatte, eine von beiden umzubringen? Vielleicht dieser Giovanni? Jedenfalls wäre es nicht das erste Mal in der Menschheitsgeschichte, dass ein verstoßener Liebhaber seiner Verflossenen nach dem Leben trachtete. Oder der Vater von Fabri? Ja, auch daran hatte er schon gedacht. Und nach der Tat hatte Gianfranco Angelo die Flucht angetreten. Aus welchem Motiv sollte er das getan haben? Beweggründe konnte man fast immer finden, es bedurfte nur etwas Phantasie.
Aber wer sagte, dass Eva-Maria das Zielobjekt war? Vielleicht hatte irgendjemand versucht, Sabrina umzubringen, und Eva-Maria, vor deren Grab sie heute standen, war quasi aus Versehen ums Leben gekommen beziehungsweise der Mörder hatte ihren Tod billigend in Kauf genommen. In diesem Fall wäre Sabrina immer noch in höchstem Maße gefährdet und der nächtliche Besucher keine Einbildung. Hipp fand es ausgesprochen beruhigend, dass er in Turin einen ehemaligen Polizisten gefunden hatte, der sich mit ihm bei der Bewachung von Sabrinas Krankenzimmer abwechselte. Auch jetzt saß er im Flur auf der Bank. Aber wer sollte einen Grund haben, Sabrina umzubringen? Er traute sich nicht, ihren herzkranken Vater danach zu fragen. Und sie selbst, sie konnte sich ja immer noch nicht an ihre Vergangenheit erinnern. Aber in diesem Punkt war er zuversichtlich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es gelingen würde, den Schleier des Vergessens etwas zu lüften.
Hipp versuchte, sich einige auffällige Gesichter der Trauergemeinde einzuprägen. Er konnte das gut, fast hatte er so etwas wie ein photographisches Gedächtnis. Der Vorgang war so ähnlich, als ob er einen imaginären Film in seinem Kopf belichten würde. Seinen ehemaligen Kollegen in der Sonderkommission war diese Fähigkeit eher unheimlich gewesen. Ihm kam das ganz selbstverständlich vor. Er musste sich nicht einmal besonders
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