Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
vom Dolcetto gehört, das ist ein Rotwein aus dem Piemont. Leider bekommt man ihn gelegentlich trocken serviert, eine Schande, denn eigentlich muss er süß sein, ist ja logisch, schließlich heißt dolce süß. So einfach ist das: Ein trockener Schaumwein heißt auf Italienisch Prosecco, und der Dolcetto ist ein süßer Rotwein.«
Er blickte zu Dino hinüber, der heute seinen ersten Arbeitstag hatte und vor dem Tisch mit den geöffneten Flaschen stand. Offenbar konnte er etwas Deutsch, jedenfalls sah er ihn verwundert an.
»Dino, mein neuer Kellermeister, wird Ihnen nun einen Brunello aus meinem Weingut kredenzen. Sie wissen, dass der Brunello ein königlicher Wein ist, benannt nach Conte Brunello, der im 18. Jahrhundert die ideale Rebsortenmischung für diesen außergewöhnlichen Rotwein gefunden hat. Eine Frage in die Runde: Welche Rebsorten gehen im Brunello eine fast schon erotische Beziehung ein?«
Während Dino die Gläser füllte, sah Lausitz seine Gäste auffordernd an.
»Höre ich da Barolo? Sagen Sie es nur laut, richtig, die Barolo-Traube trägt wesentlich zum geschmeidigen Charakter des Brunello bei. Kann man sich übrigens leicht merken …« Lausitz kicherte. »Fängt beides mit B an. Nein, Barbaresco beginnt zwar auch mit B, hat aber im Brunello nichts zu suchen, da muss ich Sie enttäuschen. Cabernet, ganz hervorragend, ich merke schon, wir haben hier heute wirkliche Weinkenner unter uns, mein Kompliment. Ja, Cabernet ist auch drin. Die Rebsorte wurde von Napoleon aus Burgund in die Toskana gebracht und ist seitdem hier heimisch, vor allem in Montalcino. Nun, da alle Gläser gefüllt sind, bitte ich Sie, am Wein nur zu riechen. Keine Sorge, Sie dürfen ihn selbstverständlich in Kürze auch trinken. Deshalb sind Sie ja hier. Die Nase ist zwar nur ein unzureichendes Sinnesorgan und den Geschmackssensoren der Zunge weit unterlegen, aber sie vermittelt uns einen ersten Eindruck. Richtig, gut machen Sie das, schwappen Sie den Wein im Glas hin und her. Wie bitte? Ja, wenn er schön kreist, ist das natürlich besser, daran erkennt man den wahren Sommelier. Nun, was riechen Sie? Schwierig, nicht wahr? Gut, ich helfe Ihnen. Zarte Kirschnoten sind typisch für einen Brunello, ebenso Himbeeren, getrocknete Feigen und ein Hauch von Akazienhonig. Sie riechen Brombeeren mit einem Anklang von Johannisbeere?« Er schmunzelte. »Liebe gute Frau, wann haben Sie das letzte Mal Marmelade eingekocht?« Die Runde quittierte seinen Scherz mit allgemeinem Gelächter.
Lausitz schnupperte noch mal am Glas, prostete seinen Gästen zu – und trank es in einem Zug aus. Er schmatzte genüsslich, sprach von einem langen, die Sinne betörenden Nachklang, nicht ohne den verstorbenen Baron Philippe de Rothschild zu zitieren, der den Abgang poetisch als Seele des Weines beschrieben habe. Dann gab er seinen Gästen noch die Empfehlung, beim Brunello vor allem auf die herausragenden Jahrgänge 1992, 1994 und 2002 zu achten. Leider habe er heute nur einen nicht ganz so gelungenen 1990er offerieren können, was man ihm bitte verzeihen möge. Er wünschte noch eine gute Fortsetzung dieser Degustation, die ab jetzt sein Kellermeister Dino übernehme, er selbst müsse leider zu einem wichtigen Termin. Lausitz verbeugte sich. »Grazie und arrivederci. Mir hat selten eine Verkostung so großes Vergnügen bereitet.« Er verkniff sich den Hinweis, dass nichts, aber auch gar nichts in seinen Ausführungen richtig gewesen war.
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I m Wohnzimmer der Tenuta del Leone war reger Betrieb. Ein Commissario, der aus Siena gekommen war, diskutierte wort- und gestenreich mit einem Beamten der Spurensicherung, der ihm immer wieder einen abgebrochenen roten Rückspiegel vor die Nase hielt. Ein Waffenexperte inspizierte das sichergestellte Gewehr, wobei er dem Zielfernrohr besondere Aufmerksamkeit schenkte und sehr zu Miras Missfallen mehrfach eine Blumenvase über dem Kamin ins Visier nahm. Hipp stand mit dem Handy am Fenster und führte ein Gespräch nach dem anderen. Zwei uniformierte Polizisten drängten einen Journalisten aus dem Zimmer, der unbedingt Photos machen und die Überlebenden dieses mörderischen Attentats interviewen wollte. Immer noch etwas blass im Gesicht, saß Sabrina in einem alten Lehnstuhl und starrte auf die gegenüberliegende Wand. Dass vor ihr Menschen auf und ab liefen, nahm sie kaum zur Kenntnis. Zu sehr war sie damit beschäftigt, das soeben Erlebte zu verarbeiten.
Hipp drehte sich um, gab dem Commissario ein Zeichen und
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