Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
kann.«
»Glaubst du an Schutzengel?«
Sabrina nickte. »Früher nicht, jetzt schon.«
»Wir sollten ihn nicht überfordern.«
»Wen? Den Schutzengel?«
»Ganz genau. Gianfranco ist auf der Flucht. Vielleicht versucht er es noch einmal.«
»Wir werden uns verstecken, so lange, bis ihn die Polizei gefasst hat.«
»Das kann Wochen oder Monate dauern.«
Zum ersten Mal seit dem Schuss lächelte Sabrina. »Dann werden wir uns eben Wochen oder Monate verstecken. Ich kann mir das sehr schön vorstellen.«
»Ich auch. Aber das geht nicht. Ich habe vorhin mit deinem Vater telefoniert.«
»Du hast doch nicht …?«
»Nein, habe ich nicht, sein Herz, ich hab ihm nichts von dem Schuss erzählt. Aber wir sind uns einig.«
»Worin seid ihr euch einig?«
»Dass ich dich morgen früh nach Florenz bringe. Von dort geht ein Flug mit der Alitalia über Mailand nach San Francisco. Das Ticket für dich liegt bereits am Counter, erste Klasse, Fensterplatz.«
»Wie bitte? Du willst, dass ich abreise?«
Hipp ging zu Sabrina und nahm sie in die Arme. »Ich will es nicht, das kannst du mir glauben. Aber es ist das Beste. Zu Hause bist du sicher. Gianfranco steht auf der Fahndungsliste, es wird ihm nicht möglich sein, in Amerika einzureisen. Sobald du bei deinem Vater bist, kann dein Schutzengel mal ein Nickerchen machen. Er hat es sich verdient.«
Sabrina sah Hipp mit großen Augen an. »Nach Hause? Meinst du wirklich? Und was ist mit uns?«
»Wir haben noch eine Nacht. Und sobald Gianfranco gefasst ist, sehen wir uns wieder.«
»Bestimmt?«
»Ganz bestimmt. Und wenn es länger dauern sollte, komme ich dich besuchen. Versprochen.«
Sabrina lief eine Träne über die Wange. »Es fällt mir schwer, mich an diesen Gedanken zu gewöhnen. An mein früheres Leben kann ich mich kaum erinnern, jedenfalls nicht an die letzten zehn, zwanzig Jahre. Umso wertvoller sind die Tage mit dir, das wird mir erst jetzt bewusst. Diese Tage sind meine ganze Erinnerung.«
»Aber mit jedem Tag kommt ein weiterer hinzu. Auch ohne mich. Du wirst dich übermorgen an morgen erinnern. Und irgendwann, glaub mir, auch an die letzten Jahre.«
»Vielleicht will ich mich daran gar nicht erinnern? Wäre doch möglich, oder?«
»Doch, willst du. Aber dazu musst du leben. Solange dieser verrückt gewordene Gianfranco auf freiem Fuß ist und dich aus welch bizarren Gründen auch immer ermorden will, ist das Risiko, hier zu bleiben, einfach zu groß. Bring den großen Teich zwischen dich und Gianfranco, bitte tu mir den Gefallen, mir und deinem Vater. Und deinem Schutzengel.«
55
F ast hätten sie in Florenz das Flugzeug verpasst. Hipp, der sich auf dem Rückweg nach Montalcino befand, musste schmunzeln. Sabrinas Verzögerungsmaßnahmen hatten schon im Bett begonnen. Später war sie zu ihm in die Dusche gekommen. Damit war der Zeitplan endgültig durcheinander geraten. Im Auto, kaum wollten sie losfahren, war ihr eingefallen, dass sie etwas auf dem Zimmer vergessen hatte, was sich kurz darauf als Irrtum herausstellte. Dass sie ihn auf eine falsche Straße lotsen wollte, hatte er gerade noch rechtzeitig bemerkt und im Ansatz vereitelt. Schließlich ihr freudiger Hinweis, dass sie ja überhaupt keine Ausweispapiere habe und schon deshalb hier bleiben müsse. Aber auch dieser Versuch ging ins Leere, denn bereits in Turin hatte er für Sabrina auf der amerikanischen Botschaft Ersatzpapiere besorgt. Diese steckten ebenso in seiner Jackentasche wie der Umschlag, den er von ihrem Vater bekommen hatte und der Bargeld sowie einige Kreditkarten enthielt. Als letzter Passagier war Sabrina schließlich an Bord gegangen, hatte ihm noch kurz zugewinkt, ein über die Hand gehauchter Kuss … Hipp atmete tief durch und warf durch das geöffnete Schiebedach einen Blick zum Himmel, wo er einen Kondensstreifen entdeckte. Er würde doch nicht sentimental werden?
Pünktlich um fünfzehn Uhr betrat Hipp in Begleitung von Mira Pertini das Haus von Dr. Lausitz. Ein Mitarbeiter brachte sie in die Loggia, wo Dr. Lausitz bereits auf sie wartete und mit überschwänglicher Herzlichkeit begrüßte. Vor allem versuchte er von der ersten Sekunde an, Hipp für sich einzunehmen. Er ließ sich das gestrige Attentat schildern, schüttelte immer wieder entsetzt den Kopf. Dann bemühte er sich, mit einigen Scherzen gute Laune zu verbreiten. Panepinto brachte eine Flasche Rotwein.
Lausitz machte seinen Besuch mit Melissa bekannt. »Meine Freundin, die leider morgen zurück nach Mailand
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