Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
nicht so weit hat. Dein Vater hat mich gebeten, mit ihm zu sprechen. Luca sieht sich nämlich gezwungen, sein Weingut zu verkaufen. Roberto hält das für keine so gute Idee.«
»Die Tenuta del Leone? Verkaufen? Sie befindet sich seit Generationen im Familienbesitz.«
»Mag sein, aber Eva-Maria ist tot, sie kann die Tradition nicht fortsetzen.«
»Ich glaube, ich bestell einen anderen Wein. Ein Brunello von der Tenuta del Leone macht mich depressiv.«
Hipp sah sie schmunzelnd an. »Das wäre schade, ausgesprochen schade.«
»Finde ich auch.«
52
E r hatte den roten Alfa 147 direkt unter der hohen Mauer abgestellt. Dazu hatte er vorher über eine Wiese fahren und hinter einen Baum rangieren müssen. Was den Vorteil hatte, dass man den Wagen von der Straße aus nicht sehen konnte. Er stand auf dem Dach des Alfa und spähte über den Mauersims. Die Position war ideal, geradezu perfekt. Die Äste gaben ihm eine hervorragende Deckung, und trotzdem hatte er durch die Zweige freien Blick auf die Terrasse der Tenuta del Leone, die keine hundert Meter entfernt lag. Er beobachtete, wie Mira den Tisch deckte. Teller, Tassen, Besteck, Servietten. Für drei Personen! Fast hätte er vor Freude in die Hände geklatscht. Für drei Personen, wie erwartet. Natürlich würden Sabrina und Hipp Mira Pertini einen Besuch abstatten, das war doch sonnenklar. Heute Vormittag waren sie im Krankenhaus gewesen und hatten dort bei Luca ihre Aufwartung gemacht. Brav. Und in Kürze würden die beiden hier auf dieser Terrasse erscheinen. Mira brachte bereits den Kuchen. Es wurde höchste Zeit, sich vorzubereiten.
Er stieg vom Auto, öffnete den Kofferraum, zog Handschuhe an, nahm das Jagdgewehr mit dem Zielfernrohr heraus und wog es prüfend in der Hand. Eine schöne Waffe. Mit dieser Büchse konnte man ein Wildschwein aus einer Entfernung von mehr als zweihundert Metern erlegen, mit einem einzigen Schuss. Und Wildschweine waren zähe Biester.
Er kletterte zurück aufs Auto, verfluchte seine rutschigen Ledersohlen, schob das Gewehr über die Mauer und brachte es in Position. Beim Blick durch das Okular prallte er fast zurück, so nah hatte er Miras trauriges Gesicht vor dem Auge. Ihr würde er nichts tun. Auch dieser Hipp würde vermutlich ungeschoren davonkommen. Er hatte es einzig und allein auf Sabrina abgesehen. Nun, er hätte eine andere, weniger blutige Vorgehensweise vorgezogen. Ein Kissen im Krankenhaus, Gift im Tee, ein Unfall mit der Seilbahn. Aber seine Geduld war am Ende. Auch nervlich war er der ganzen Sache nicht mehr länger gewachsen. Die Zeit lief ab. Blieb als Trost, dass Sabrina nichts spüren würde. Der Schuss würde ihren Schädel einfach wegblasen, von einer Sekunde auf die andere, ohne Vorwarnung, die Kugel flog schneller als der Schall. Für Mira und Hipp mochte das zwar wenig appetitlich sein, zugegeben, auch für ihn selbst, trotz der sicheren Entfernung. Aber wahrscheinlich war dieser Tod für das Opfer humaner, als sich mit tödlichen Krämpfen auf dem Boden zu wälzen. Blieb die Frage, ob ihn im letzten Augenblick der Mut verlassen würde. Schließlich hatte Sabrina ein hübsches Gesicht, volle Lippen, schöne Augen, geschmeidiges Haar. Wenn sie ihn im Zielfernrohr anlächeln sollte, dann würde es schwer werden, sehr schwer. Aber auch dann würde er den Schuss abfeuern.
Er musste nicht lange warten. Schon sah er Mira ins Haus laufen, um wenig später mit Sabrina und Hipp auf der Terrasse zu erscheinen. Nur Sekunden brauchte es, bis er Sabrina im Visier hatte. Er musste der Versuchung widerstehen, sofort abzudrücken, das Risiko für einen Fehlschuss war noch zu groß. Sabrina war immer in Bewegung, schaute sich alles an, lief auf der Terrasse hin und her, wurde mal von Hipp verdeckt, duckte sich dann plötzlich, um irgendetwas aufzuheben. Jetzt drehte sie sich um, sah für einen Wimpernschlag genau in seine Richtung, unschuldig lächelnd, bezaubernd. Er schluckte, spürte einen Kloß im Hals. Er haderte mit seinem Schicksal. Diese Sabrina war eine wunderbare junge Frau, sie hätte wahrlich ein glückliches Leben verdient. Ähnlich wie Eva-Maria. Warum brachte ihn der Herrgott in diese Situation, warum nur? Noch vor wenigen Wochen war seine Welt in Ordnung gewesen, er fühlte sich zu Hause wohl, hatte seine Freiheiten, der Wein entwickelte sich prächtig. Gewiss, es gab gelegentlich Streitereien, aber damit konnte man klarkommen. Juventus Turin hatte eine Siegesserie – und dann, von einer Sekunde auf die
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