Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
muss.«
Während sich Lausitz bei Mira mit gespielter Anteilnahme nach der Gesundheit ihres Mannes erkundigte, blickte Hipp zu Melissa. Sie lächelte, als sich ihre Augen trafen. Er hob eine Augenbraue. Wie von Zauberhand rutschte ihr ohnehin kurzer Rock ein Stückchen nach oben. Hipp grinste. Offenbar interpretierte sie seine Aufmerksamkeit als Flirtversuch. In Wahrheit dachte er scharf nach. Melissa hatte er schon mal gesehen, da war er sich ganz sicher. Obwohl, an diese langen Beine konnte er sich nicht erinnern, auch nicht an den bemerkenswerten Ausschnitt. Sollte er nur ihren Kopf gesehen haben?
Lausitz faltete theatralisch die Hände. »Liebe Signora Pertini, bitte richten Sie Ihrem Mann meine besten Genesungswünsche aus …«
Die Freundin musste morgen zurück nach Mailand? Hipp schloss die Augen, wohl wissend, dass sich Melissa darüber wundern würde. Wahrscheinlich hielt sie das für die ultimative Anmache. Er rief sich die Mappe der Mailänder Versicherung in Erinnerung, jene mit den Personalakten der Mitarbeiter. Er ließ die Passbilder Revue passieren. Das funktionierte ähnlich wie bei einem Computer, kurz anklicken, Datei schließen, nächstes Bild. Mann mit Brille, Mann mit Boxernase, Frau über fünfzig, Mann mit abstehenden Ohren, junge Frau, aber hässlich, Glatzkopf, Frau mit Besenfrisur, Mann mit Schnauzer, bingo, junge Frau, blonde Haare, volle Lippen. Melissa Stradari, 26 Jahre, Sachbearbeiterin, seit vier Jahren angestellt …
Hipp öffnete die Augen, Melissa zwinkerte nervös. Ja, das war sie, Melissa Stradari, in voller Schönheit. Kein Wunder, dass er sich an ihre körperlichen Vorzüge nicht erinnern konnte. In Personalakten fehlten eben oft die wichtigsten Informationen. Dr. Lausitz, dem ihre Blicke nicht entgangen waren, nahm Melissa mit Besitzerstolz in die Arme. »Diese Frau kann uns Männern den Kopf verdrehen, nicht wahr?« Er lächelte und gab ihr einen Kuss. Hipp musste schmunzeln. Dieser Lausitz unterschied sich in seinem Verhalten nur unwesentlich von einem männlichen Schimpansen in Äquatorialafrika. Die Botschaft war unmissverständlich: Du darfst mein Weibchen zwar bewundern, ihm auch schöne Augen machen, aber indem ich es demonstrativ umarme und küsse, zeige ich dir, dass es zu mir gehört, berühren verboten, denn ich bin das Alpha-Tier.
»Wie lange kennen Sie beide sich schon?«, fragte Hipp wie beiläufig.
»Leider erst seit einem knappen Jahr«, antwortete Lausitz. »Wir sind uns in Mailand auf einer Modenschau begegnet, wo Melissa mit einigen anderen hübschen Mädchen, übrigens alle …«
Hipp war an der folgenden Schilderung des Paarungsrituals wenig interessiert, stattdessen ging er in Gedanken die Liste mit den Überfällen durch. Vor acht Monaten, eine Fuhre mit Spitzenweinen aus dem Friaul, gestohlen von einem Nachtparkplatz bei Verona. Nach den Unterlagen von Talhammer war dies der erste Diebstahl einer von seinem Mailänder Büro versicherten Ladung. Es hat also nur wenige Monate gedauert, überlegte Hipp, bis Lausitz finanzielle Vorteile aus seiner neuen Liebschaft ziehen konnte. Ein Alpha-Tier lässt nun mal sein Rudel gerne für sich arbeiten, trommelt sich gelegentlich vor Stolz an die Brust, lässt sich lausen – und ist ein Meister im Imponiergehabe.
Mit einem demonstrativen Blick auf seine mit Diamanten besetzte Rolex verwies Lausitz auf die Kostbarkeit der Zeit und wendete sich Mira zu.
»Signora Pertini, wie Sie wissen, bringe ich Ihrer Tenuta del Leone meine größte Wertschätzung entgegen. Wie mein Mitarbeiter Serafino Panepinto bereits mit Ihrem Mann besprochen hat, erklären wir uns bereit, Ihre Tenuta zu einem fairen Preis zu kaufen. Damit sind Sie auf einen Schlag all Ihre finanziellen Sorgen los, Sie können sich liebevoll um Luca kümmern, ihn gesund pflegen, die Trauer um Ihre Tochter überwinden und Ihr wohlverdientes Alter genießen. Und ich werde die Tenuta del Leone zusammen mit Ihrem ehemaligen Kellermeister Dino in Ihrem Sinne weiterführen.« Lausitz rieb sich zufrieden die Hände. »Und zu Weihnachten bekommen Sie immer eine Kiste mit dem neuesten Jahrgang. Na, wie klingt das?«
Mira schnäuzte sich und sah Hilfe suchend zu Hipp. Dieser war mit seinen Gedanken immer noch bei den gestohlenen Weinlieferungen. Eigentlich misstraute er solchen Zufällen, aber diesmal sah es ganz so aus, als ob ihm die Lösung auf einem goldenen Tablett serviert würde.
»Lieber Herr Hermanus«, wechselte Lausitz zu Hipp, »bitte sagen Sie
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