Hirngespenster (German Edition)
da schlug sie zurück. Auf den Hinterkopf. Boing, ein fester Schlag landete dort, und ich regte mich tierisch darüber auf. Konnte mich kaum beruhigen! Schließlich heulte sie auch und sagte immer wieder »Entschuldigung« und »mein Schatz« und »ich tue das nie wieder, versprochen«.
Fast hätte sie mir leidgetan. Sie hätte Trost verdient. Stattdessen tröstete sie mich und nahm mich in den Arm. Und für diesmal ließ ich es mir gefallen.
Silvie
Laut meinen Eltern kam es an Weihnachten zwischen Matthias und Anna zu einem Zwischenfall, der sie beunruhigte. Wie seit Jahren schon verbrachten sie den Heiligen Abend in Bad Homburg. Mein Vater spielte Klavier, die Kinder sangen mit ihm, Anna stand normalerweise mit meiner Mutter in der Küche, und Matthias betrachtete sich das Ganze vom Sofa aus.
Diesmal lief alles ein wenig anders ab. Nachdem meine Mutter die Gans in den Ofen geschoben hatte, machte sie sich daran, das Haus aufzuräumen: »Was bitter nötig war.« Anna habe kein Interesse gezeigt, ihr zur Hand zu gehen; sie habe sich zu den Kindern aufs Sofa gesetzt, »Michel aus Lönneberga« geschaut und »Drei Nüsse für Aschenbrödel«. Währenddessen deckten mein Vater und Matthias den Tisch, was befremdlich war, denn all die Jahre zuvor hatte Anna keinen Menschen an ihren Tisch gelassen, bis er nicht perfekt dekoriert war – und zwar von ihr persönlich!
»Es ging ihr am Allerwertesten vorbei, sogar dass Matthias das Besteck verkehrt hingelegt hat«, brachte mein Vater seine Ratlosigkeit zum Ausdruck. Und dann die Sache mit den Joghurtbechern. Meine Mutter fand wieder an die sechzig Stück in Lunas Schrank deponiert, einige fein säuberlich ausgespült, andere halb voll, mit schwarzgelbem Schimmel überzogen – in einer Tüte. Sie zögerte eine Weile, war halb belustigt, halb bestürzt, bis sie schließlich unauffällig Matthias zu sich rief und ihm die Sache zeigte.
»Schau, was deine Tochter macht', hab ich zu ihm gesagt. Du, da bekam er eine so rote Birne, dass ich dachte, der kriegt keine Luft mehr. Wie Atemstillstand.«
»Und dann?«, fragte ich.
»Er nahm die Tüte – so schnell konnte ich gar nicht gucken – und brachte sie ins Wohnzimmer, wo Luna mit den anderen auf dem Sofa saß. Ich dachte, er wird mit ihr schimpfen, ihr einen Vortrag halten, dass man das nicht macht, weil das Müll ist. Ich kam ihm also hinterher, um mir anzuhören, was Luna dazu zu sagen hätte. Aber wie ich am Sofa ankomme, da knallt er die Tüte Anna auf den Schoß und nicht Luna.«
Mein Vater nickte, tätschelte fürsorglich den Arm meiner Mutter und ergänzte: »Eigentlich hat er sie ihr nicht auf den Schoß geknallt, viel eher hat er sie ihr im Eifer fast über den Kopf gehauen.«
Meine Mutter nickte. »Anna sprang wie von der Tarantel gestochen auf, Silvie, sie ist wie aus einer Starre erwacht und hat ein Geschrei veranstaltet wie eine Verrückte. Und dann schrien die Kinder auch noch, und ich muss sagen, ich war auch kurz davor!«
Ich musste trotz allem lachen über diese absurde Situation – und das am Heiligen Abend. »Hat er sie mit der Tüte geschlagen – was meint ihr?«, wollte ich genauer wissen.
»Nein«, schüttelte mein Vater den Kopf, »das nicht. Er wollte wohl eher, dass sie zu sich kommt. Ich kann dir eins sagen, der Matthias ist mit den Nerven am Ende. Er hat mir erzählt, dass einer seiner Maklerkollegen ein faules Ding bei einem Objekt gedreht hat, bei einer Doppelhaushälfte in der unmittelbaren Nachbarschaft, auch im Bommersheimer Weg gelegen. Dieses Haus musste dringend verkauft werden, weil die Besitzer monatelang keine Raten bezahlt haben. Das Maklerbüro hatte den Auftrag, das Ding an den Mann zu bringen, bevor es unter den Hammer kommt. Sie haben alles versucht, sagt er, aber keinen Käufer gefunden, was daran liegt, dass die Stadt in Erwägung zieht, mitten in das Wohngebiet eine Sonderschule zu bauen. Da lassen die Käufer – das sind ja potenziell Familien – die Finger davon. Und nachdem die Bank die Doppelhaushälfte aus dem freien Verkauf genommen hatte, meldete sie Zwangsversteigerung an – eine Kopie zu dieser Sache kam übrigens immer per Post hier zu Matthias nach Hause, weil er als freier Makler mit dieser Sache zugange war –, und dann hat Anna ihm dauernd die Briefe durcheinandergebracht, so dass er die Unterlagen nicht parat hatte, wenn's drauf ankam. Naja, egal. Jedenfalls war es so, dass dieser Kollege doch noch einen Käufer gefunden hat, in letzter Minute
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