Hirngespenster (German Edition)
plötzlich klopfenden Herzens, eine persönliche Botschaft, einen langen Brief, in dem er sie um Verzeihung bat und sie anflehte, zu ihm zurückzukehren, diesmal endgültig. Mit zittrigen Fingern versuchte sie, das Klebeband zu lösen, und nahm schließlich eine Schere zu Hilfe. Zögernd klappte sie den Karton auf und betrachtete die bunten Gebilde, die darin aufgereiht waren.
Kleine Blumen aus – was? Seife?
»Deine Seife damals, du, die hätte ich dir am liebsten um die Ohren gehauen!«, rief Sabina lachend, als es dunkel um mich war.
Johannes lachte auch, ein verlegenes Lachen. »Badezusatz, Liebling. Badezusatz in Blumenform. Ich wollte dir was Gutes tun; ich wusste, du magst Blumen und du badest gerne. Ich hab eben an dich gedacht.«
»Ja, aber was du mir geschrieben hast, das war echt der Gipfel!«
Ich habe seine verlegene Antwort nicht gehört, aber es muss etwas gewesen sein wie: »Du weißt doch, mit Worten hab ich’s nicht so.«
Und das trifft es genau.
Zögernd betrachtete sie die kleine Karte, die dabei lag, und überlegte, ob sie sie gleich mit in den Mülleimer donnern sollte, ohne sie zu lesen. Aber natürlich tat sie das nicht. Sie klappte die Karte auf und kämpfte gegen den Kloß in ihrem Hals an, der sich augenblicklich dort festsetzte. Liebe Sabina, stand dort in seiner ausladenden Handschrift geschrieben. Ich wünsche dir ein schönes Weihnachtsfest. Dein Johannes.
Sie hätte doch alles in den Mülleimer donnern sollen, ohne es zu lesen, aber nun war es zu spät. Und dank seines Päckchens saß sie noch immer wie festgewachsen auf ihrem Stuhl, zur Hälfte geschminkt, und ließ den Tränen freien Lauf, bis das Läuten der Türklingel sie aus ihren Gedanken riss. Eilig legte sie das Päckchen ab und blieb dann nach wenigen Schritten reglos im Flur stehen. Auf keinen Fall wollte sie Alex ihr verheultes Gesicht zeigen. Sie ging weiter zur Tür und klopfte gegen das Holz – ganz so, als wäre sie es, die hineingelassen werden wollte.
Seine Stimme war sofort ganz nah. »Sabina?«, raunte er.
»Alex, bitte geh wieder«, schluchzte sie hinter der verschlossenen Tür, »es geht mir nicht gut.«
»Was ist denn los?«, fragte er. »Hast du Heimweh?«
Sabina schloss die Augen. Es war das erste Jahr, in dem sie über die Feiertage nicht in die USA flog. Schlicht und ergreifend fehlte ihr das Geld dazu. Es blieb ja nicht beim Flug allein. Man brachte Geschenke mit, ging aus. Alles kostete eine Stange Geld. Erspartes, von dem sie lebte, Miete bezahlte und Stoffe kaufte. Wenn Alex nicht schon so vieles unternommen hätte, um ihr Geschäft zum Laufen zu bringen, hätte sie schon längst den Überblick verloren und wäre pleite. Aber Heimweh hatte sie an diesem Abend noch keins gehabt. Jedenfalls nicht nach Kalifornien.
Sie wischte die Tränen ab und öffnete. Verschämt blickte sie ihn an und rang sich zu einem Lächeln durch.
»Heimweh, ja«, sagte sie und ließ ihn ein. »Aber da ist auch noch etwas anderes.« Es musste sein. Jetzt oder nie – es hatte doch sowieso alles keinen Sinn. Sie konnte unmöglich diesen Abend mit ihm überstehen, ohne durchzudrehen.
»Wartest du kurz hier?«, fragte sie, als sie im Wohnzimmer angekommen waren. »Ich will mir nur kurz das Gesicht kühlen.«
Er nickte, sein Blick ein einziges Fragezeichen.
Als sie zurückkehrte, setzte sie sich neben ihn. Dem Impuls, nach seiner Hand zu greifen, gab sie nicht nach. Sie seufzte.
»Ich bin noch nicht so weit, mit dir Heiligabend zu verbringen«, sagte sie wahrheitsgemäß. »Es fühlt sich falsch an, verstehst du? Meine Gefühle …«
Alex nickte. »Du fühlst nichts für mich.«
Sie schluckte.
»Ist da ein anderer Mann?«
»Ach Alex, nein, da ist niemand.« Und es lag auch gar nicht an Johannes, dass sie Alex nicht lieben konnte. Sie hatte kein Herzklopfen, keine Flugzeuge im Bauch. Seine Koseworte waren ihr unangenehm, seine Liebkosungen auch, und wenn es ans Thema Sex ging, dann war ihr keine Ausrede zu billig. Inzwischen hatten sie miteinander geschlafen – aber nur, weil sie das Gefühl hatte, ihm dies letztendlich schuldig zu sein, nichts anderes. Von sich aus hätte sie es nie getan. Dabei war er attraktiv. Sie seufzte wieder.
»Ich hätte es so gerne versucht, aber es geht einfach nicht. Ich bin noch nicht so weit«, sagte sie und wusste selbst, wie lahm dies klang. Tanja hatte schon längst die Geduld mit ihr verloren, bedrängte sie bei jedem Treffen, die Sache endlich zu beenden. »Du brichst sein
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