Hirngespenster (German Edition)
abwechseln. Im Grunde würde sich für Johannes doch gar nichts ändern.
Ich betrachtete ihn zweifelnd. »Das wäre, als würdest du sagen, für dich ändert sich auch nichts, wenn ich mit zwei Kindern bei dir einziehe. Mann, Jens, er sitzt dann in einer leeren Vierzimmerwohnung. Wenn das keine Veränderung ist, weiß ich's auch nicht.«
Ich stehe oben auf der ersten Stufe unseres Treppenhauses und spähe durchs Geländer vier Stockwerke nach unten. Habe mich aus der Wohnung geschlichen, einfach so. Die Tür war nur angelehnt, und ich bin entwischt. Ich mache mich auf den Weg nach unten, gehe langsam Schritt für Schritt, gebe acht, nicht zu stolpern. Immerhin sind es sehr viele Stufen, die ich nehmen muss, und sie sind rutschig, vor allem in Strümpfen. Runde für Runde lasse ich hinter mir und horche nach oben. Nur schnell weiter. Unten im Flur angekommen, sehe ich mich um. Ich rüttle mit aller Kraft am Griff der Haustür, aber ich bekomme sie nicht auf. Schade. Ich wende mich um und gehe in die andere Richtung, dorthin, wo es zum Keller hinuntergeht. Auf einmal höre ich Schritte und ferne Rufe, sie kommen von ganz oben, über die alte Holztreppe des Treppenhauses schallen sie zu mir herab. Ich greife nach der Tür zum Keller – sie öffnet sich! Als ich den ersten Schritt auf die oberste Stufe setze, geht ein Licht an. Das ist auch gut so, es ist stockfinster hier unten. Ich tapse die kalte Steintreppe nach unten und kann den Keller förmlich riechen. Es riecht nach frischer Wäsche und nach etwas Ranzigem; ich gehe zielstrebig weiter, auf eine der anderen Türen zu, die dem Waschkeller gegenüberliegen, eine davon gehört uns. Wieder spitze ich die Ohren, von oben herunter dröhnt nun aufgeregtes Rufen und Getrappel. Mein Herz klopft. Die Stimmen sind nun schon ganz nah, jemand rüttelt über mir im Hausflur an der verschlossenen Haustür, ein anderer stöhnt »Gott sei Dank!«, da trappelt es wieder und ich gehe noch einen Schritt schneller. Die Fotoalben! Mit Bildern von Anna! Jemand kommt hinter mir die Steintreppe heruntergehastet, biegt um die Ecke und ruft »Hier ist sie!«. Hände greifen nach mir, aber ich kralle mich an der Klinke zu unserem Keller fest und lasse sie nicht los, ich brülle so laut und zornig, wie ich kann – hier kriegen sie mich jetzt nicht mehr weg, ich will zu »A-a-aaaaa!!!!!!!!«.
Anna
Als endlich der Bärlauch im Wald sprießte und die Spaziergänger sich auf den Weg machten, das Kraut einzusammeln, um daraus ihre Brotaufstriche und Suppen zuzubereiten, schloss sich Anna einem Waldausflug von Emma und Clara als Begleitperson an – etwas, was sie noch nie zuvor getan hatte, was man aber umso erfreuter zur Kenntnis nahm. Clara und Emma wichen auf dem Waldweg nicht von ihrer Seite, zu selten war das Vergnügen, dass ihre Mama etwas mit ihnen unternahm. Sie konnte sogar das muntere Geplapper der Kinder ertragen, die frische Luft in ihre Lungen strömen lassen, bis sie niesen musste, und den Vögeln lauschen, die man nicht erblicken konnte, es sei denn, man fasste die Äste einzeln ins Auge. Doch etwas zu fokussieren gelang ihr dieser Tage schlecht. Sie ging lieber mit gesenktem Kopf, damit sie nicht strauchelte, und suchte die Nähe der Erzieherinnen, um klopfenden Herzens einen günstigen Moment für ihr Anliegen abzupassen. Schließlich zeigte sie auf eine kleine Lichtung im Wald und sinnierte, was man wohl neben Pesto noch Köstliches aus Bärlauch zubereiten könne.
»Ich verwende es allenfalls als Gewürz«, sagte die eine. »Oder mal eine Rahmsuppe, das geht auch noch.«
Die andere meinte: »Ich mache daraus Salat – auch wenn man danach wahnsinnig stinkt.«
»Ach, wirklich?«, tat Anna interessiert, dabei war ihr dies längst bekannt. »Ich esse ja keinen Salat – aber mein Mann umso lieber. Er pflückt jedes Jahr Bärlauch im Wald, aber bisher haben wir nur Pesto daraus gemacht, für aufs Brot.« Eine glatte Lüge.
»Sagen Sie ihm bloß, dass er in der Mitte pflücken soll, nicht am Rand«, riet die Erzieherin. »Am Rand wachsen manchmal Maiglöckchen dazwischen, und das kann unangenehm werden.«
Diese Bemerkung stimmte Anna regelrecht vergnügt. So dumm, Maiglöckchen zu verwenden, war sie nun wirklich nicht.
Sabina ist lieb, sie hat mich in unseren Keller gelassen. Johannes ist auch lieb, er streichelt die ganze Zeit meinen Kopf, den ich mir versehentlich an der Kellertür gestoßen habe. Mein Gott, sie wollten mich aber auch partout wieder mit
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