Hirngespenster (German Edition)
Bürgermeisterwahl gewonnen habe, hatte er sich an die Stirn getippt. »Bürgermeisterwahl?«, hatte er verständnislos gefragt. Die Wahl sei erst in zwei Jahren, hatte er sie aufgeklärt, und er werde gewiss nicht kandidieren, habe genug Ärger am Hals.
»Was denn?«, hatte sie ängstlich gefragt, gleichzeitig damit beschäftigt, sich zu fragen, warum eine Kandidatur nicht in Frage kam, wo er doch so ehrgeizig war. Bekleidete ehrenamtliche Ämter, damit man sich an ihn erinnerte, wenn es Posten zu besetzen gab. In zwei Jahren konnte er nicht kandidieren, so viel war klar. Sie musste nur bis März warten, wenn der Bärlauch sprießte. Zwar wusste sie an manchen Tagen nicht einmal zu sagen, welcher Wochentag es war. Dann musste sie an den Kalender in der Küche gehen und nachsehen. Wenn sie sich ruhig verhielt, nicht vor die Tür ging und Matthias keinen Grund lieferte, sie anzugehen, dann würde sie die Zeit schon herumbringen. Wie hieß es so schön: Das Ziel liegt am Ende des Weges. Oder so ähnlich.
Ich schaukle gerne. Schon früher, als ich noch normal war, da setzte ich mich gerne auf Schaukeln und blickte schwingend in den Himmel, bis mir flau im Magen wurde. Heutzutage ist es etwas heikel. Obwohl es gut fürs Gleichgewicht ist, sagt der Arzt. Wenn Sabina mir auf die Schaukel helfen möchte, ist das schon ein Kraftakt. Sie schubst mich vorsichtig von hinten an, Nils von vorne, und neben mir schaukelt Ole, der es besser draufhat als ich, und ich lache ihn an. Schließlich wird es Sabina zu bunt, und sie führt mich wieder zu meinem fahrbaren Untersatz. Dass ich ihr ständig davonlaufen will, darüber beklagt sie sich und schnallt mich fest. Dabei möchte ich nur ein wenig die Freiheit genießen!
Silvie
Januar und Februar waren besonders schlimm für mich. Johannes' Anwesenheit konnte ich kaum mehr ertragen, mich störte, wie er kaute, wie er atmete, wie er es sich angewöhnt hatte, mit den Knöcheln zu knacken. Es gab Tage, da war ich so frustriert, ich hätte nur noch heulen mögen! Und mir wurde schmerzhaft bewusst, dass ich keine einzige Freundin hatte, mit der ich mal über die Sache mit Jens hätte reden können oder – wenn das nicht gegangen wäre – der ich wenigstens von meinem Frust mit Johannes hätte erzählen können. Was im Prinzip ein und dasselbe war, ich weiß. Es gab Arbeitskolleginnen, die mir einmal nahe gestanden hatten, doch die Kontakte waren eingeschlafen. Die wenigen Stunden pro Woche, die ich im Verlag auftauchte, reichten nicht aus, um eine Unterhaltung im Fluss zu halten. Meist hetzte ich von einer Redaktionsbesprechung zur nächsten oder redigierte Artikel. Ach, ich war nie der Typ für angeregte Frauengespräche in der Teeküche gewesen. Schließlich hatte ich mich bewusst dafür entschieden, Frauenthemen den Rücken zuzukehren, weil sie mich langweilten. Arrogant wie ich war, meinte ich, es nicht nötig zu haben, auch mal ein Geplänkel mitzumachen – Gespräche unterhalb einem gewissen Niveau waren mir zuwider. Dann sitzt man eben alleine da, wenn's drauf ankommt.
Nach Weihnachten wartet man sowieso nur noch auf den Frühling, auf milderes Klima, auf mehr Helligkeit, auf Vogelgezwitscher. Zusätzlich wartete ich auf eine Gelegenheit, mit Johannes zu sprechen; ihm zu gestehen, dass ich mich in einen anderen verliebt hatte, und dass ich darüber nachdachte, ihn zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen. Mittlerweile war es mir egal, was die anderen denken würden, sollten sie doch denken, was sie wollten. Meine Eltern würden schon über das Scheitern meiner Ehe hinwegkommen – und die ganzen Erinnerungen, die ich mit Johannes hatte, auf die konnte ich pfeifen. Ich hatte ihm nichts mehr zu sagen, er mir auch nicht. Das Einzige, was uns verband, waren die Kinder. Und die Kinder wollte ich selbstverständlich mitnehmen, ich gehörte nicht zu der Sorte Frauen, die ihre Kinder zurücklassen. Doch was, wenn Johannes um die Kinder stritt? Was würde ich tun, wenn er vor Gericht zog, einen Sorgerechtsstreit anstrebte mit allem Drum und Dran?
»Wir schaffen das schon«, sagte Jens. »Wenn er das Sorgerecht für sich beansprucht, dann musst du kämpfen.«
Mein Gewissen jedoch flüsterte mir etwas anderes ein. »Die Kinder stehen dir gar nicht zu, Ehebrecherin«, wisperte es.
Jens hatte diese Bedenken nicht. Johannes könne die Kinder doch jederzeit sehen, er habe Besuchsrecht, wann immer er wolle, könne sie abholen, wie er lustig war, an den Feiertagen könne man sich
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