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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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an. Wollte sie fragen, warum und vor allem worüber er ihrer Meinung nach log. Nochmals schrie sie, und zeigte ihre Lefzen wie eine Furie. »Er lügt! Erlügterlügterlügterlügt!!!!«

    Bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, verging mindestens eine halbe Stunde. Ole in seiner Babyschale hatte inzwischen ausgeschlafen und begann, fröhlich zu krähen. Ich strich Anna über den Rücken und redete auf sie ein, sie solle sich beruhigen, es müsse sich um ein Missverständnis handeln. »Alles wird gut«, beschwor ich sie. Was auch immer »alles« war – diese hohle Beruhigungsphrase glaubte ich selbst nicht. Gleichzeitig fragte ich mich, was hinter ihrer Panik steckte, was sie glaubte, was die »Wahrheit« sei. Dass Matthias diese Geschichte nur erfunden hatte? Oder dass er gar nicht vor Gericht hatte aussagen müssen? Was, in Gottes Namen, ging in ihrem Kopf vor? Jedoch, sie zu fragen, wagte ich nicht mehr. Ich ertappte mich bei Fluchtgedanken. Einerseits fühlte ich mich verpflichtet, der Sache auf den Grund zu gehen, meinte, es ihr schuldig zu sein, dass ich mich um sie kümmerte. Andererseits schockierte sie mich nur noch. Es nutzte doch alles überhaupt nichts. Dachte man allein an die Geschichte, die Matthias erzählt hatte: Dass Anna glaubte, ich hätte ihr den Krebs gebracht. Ein einziges Mal war ich gekommen, um über meine eigenen Probleme zu sprechen. Wie hatte ich so dumm sein können, zu glauben, sie in meine Affäre mit Jens einzuweihen? Wahnwitzig geradezu!
    Als meine Finger von der Reiberei auf ihrem Rücken schmerzten, setzte ich mich wieder zu ihr an den Tisch, wippte Oles Babytrage mit dem Fuß und wagte einen Vorstoß. »Anna«, sagte ich, »was ist denn los? Warum meinst du, dass Matthias lügt?«
    Sie schüttelte den Kopf. Offensichtlich wollte sie nicht darüber reden. Zumindest nicht mit mir.
    »Du bist doch in Behandlung«, sprach ich weiter, »dort kannst du doch über deine Probleme sprechen.«
    Erneutes Kopfschütteln.
    Was sollte das wieder bedeuten?
    »Du kannst dort nicht über deine Probleme sprechen, oder du bist nicht in Behandlung?«, bohrte ich nach, der kleine kalte Knoten in meinem Magen pulsierte.
    Sie murmelte etwas, das ich nicht verstand. Oder nicht verstehen wollte. »Du bist gar nicht in Behandlung?«, fragte ich.
    »Nein«, flüsterte sie.
    Ich griff nach ihrem Arm. »Aber das hast du mir doch erzählt! Du hast gesagt, du seiest in Therapie!«
    Endlich sah sie auf. Ihr Blick war klar. Ich atmete auf, sie redete mit mir!
    »Sag mal, Silvie«, sagte sie, klar und deutlich. »Hast du Lust, demnächst zu uns zum Essen zu kommen? Es gibt Bärlauch.«

    Johannes legt mir manchmal meine alte Gitarre in den Schoß, und ich bin jedes Mal ganz aus dem Häuschen, möchte »Wish you were here« spielen oder »Yesterday« und klimpere in die Saiten, bis er mir gerührt über den Kopf streicht. »Musik ist dein Ding«, sagt er, und ich lache vor Freude. Musik ist wirklich mein Ding.

Sabina
    Nachdem sie sich von Alex getrennt hatte, war er ihr noch mehrere Male »zufällig« in der Stadt begegnet. Beim ersten Mal kam sie gerade aus einem der Kinderläden, in denen sie inzwischen auf Kommission verkaufte, als er plötzlich mit verschränkten Armen vor ihr stand. Er starrte sie an wie ein Kaufhausdetektiv, der einen Dieb auf frischer Tat ertappt hat. Obwohl sie heftig zusammenzuckte, brachte sie ein »Hallo, wie geht's?« heraus, aber er ließ sie einfach stehen. Beim zweiten Mal fragte er, ob sie eigentlich gut schlafen könne. »Natürlich, wieso nicht?«, hatte sie ihm klopfenden Herzens geantwortet. Da war er mit abfälligem Blick weitergelaufen. Es war albern, Angst vor ihm zu haben, aber ein wenig unheimlich war ihr das Ganze schon. Die nächsten beiden Male hatte er mehr Abstand gehalten, ihr einfach nur schmallippig von der anderen Straßenseite aus nachgestarrt und war dann verschwunden. Seither klingelte das Telefon zu Unzeiten. Mitten in der Nacht, wenn sie im Tiefschlaf war und Minuten brauchte, um aus einem Traum aufzutauchen. Oder früh am Morgen, eine halbe Stunde vor ihrer üblichen Aufstehzeit. Niemals meldete sich jemand, und inzwischen stellte sie das Telefon abends aus. An manchen Tagen, wenn sie von der Arbeit kam und ihr Auto abschloss, blickte sie verstohlen über ihre Schulter und beeilte sich, zu ihrer Wohnung zu kommen. So wie heute, wo sie zwei neue Kinderboutiquen besucht hatte, um die Besitzerinnen für ihre Kollektionen zu begeistern. Dabei hatte sie

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