Hirngespenster (German Edition)
Kopf zum Esstisch. »Dass du den Tisch gedeckt hast, ist lange her, Anna.«
»Ich decke jeden Tag den Tisch.«
Er hob die Schultern und sagte nichts weiter dazu. Stellte die Schüssel auf den Tisch und rief die Kinder, die sich nicht rührten, in den Fernseher starrten wie jeden Tag. »Are you coming, ladies?«, rief er noch einmal, strenger diesmal, Autorität verbreitend.
Nachdem alle am Tisch saßen, setzte sich Anna dazu. »Lass es dir schmecken«, sagte sie und lächelte.
»Dass du gelächelt hast, ist auch lange her, Anna.«
»Ich lächle fast jeden Tag.«
Er schüttelte amüsiert den Kopf und sagte: »Ich wollte es dir eigentlich noch nicht sagen, aber ich habe eine Reise gebucht. Bei TUI, die Unterlagen sind gestern gekommen. Wir fahren mal weg, nur wir beide.« Dann griff er zum Besteck.
Als Matthias über ein Kratzen im Hals klagte, schliefen die Mädchen längst, und Anna hatte ebenfalls Mühe, über ihrem Buch die Augen offen zu halten. Ohnehin verstand sie nichts von dem, was sie las. Der Tag hatte sie doch mehr angestrengt als gedacht, es musste die innere Anspannung sein, die sie erschöpfte. Oder die Vorfreude. Dabei hatte sie bis zuletzt nicht damit gerechnet, dass einmal einer ihrer Pläne gelingen könnte. Normalerweise ging alles schief, was sie sich vornahm.
»Vielleicht wirst du krank«, sagte sie und gähnte.
»Glaube ich kaum, ist doch gar keine Erkältungszeit.« Er schluckte hörbar und räusperte sich. »Mein Mund brennt auf einmal«, erklärte er und erhob sich. Blickte in den Spiegel am Esstisch und streckte sich selbst die Zunge heraus.
Anna erhob sich. »Ich gehe ins Bett, Matthias, ich bin müde.«
»Haben wir was gegen Halsschmerzen im Haus?«, erkundigte er sich noch.
»Glaube nicht. Gute Nacht.«
Als er sie weckte, war es weit nach Mitternacht. Er schwitzte, das erkannte sie selbst im Schein der gedimmten Nachttischlampe. »Was ist denn?«
»Ich bin krank, Anna. Irgendwas Schlimmes«, keuchte er und griff sich an die Kehle.
Anna versuchte, sich zu orientieren. »Ist dir schlecht?«, fragte sie, und dann dämmerte ihr, was mit ihm los war. Er krepierte endlich.
Matthias setzte sich auf die Bettkante und stellte das Licht heller. Er flüsterte: »Mund und Hals brennen wie Feuer. Außerdem könnte ich kotzen.« Er sprang auf und lief Richtung Bad. Sie hörte, wie er würgte, wie er sich erbrach an seiner Schlechtigkeit. Endlich einmal war er kraftlos, musste sich festkrallen am Rand der Toilette. Sie lächelte. Die obszöne Figur, die er dabei hinlegte, konnte sie sich vorstellen, ohne dass sie ihm hinterhereilte.
»Anna!«, rief er schwach und würgte wieder. Die mühsam gepflückten Blätter landeten in der Toilette, aber ihre tödliche Wirkung war längst in seinem Blut. Sie griff zu ihrem Nachtschränkchen, holte ihr Notizheft hervor, schlug feierlich die letzte Seite auf und vollendete ihre Notizen. Nachdem die Seite voll war, verstaute sie das Heft wieder in ihrem Schränkchen und erhob sich. Ihre weißen Beine stachen gespenstisch unter dem schwarzen Nachthemd hervor, angestrahlt vom Schein der Lampe. Energiesparlampen machten ein kaltes Licht, da konnte einer sagen, was er wollte. Den Geräuschen nach zu urteilen saß Matthias nun nicht mehr vor, sondern auf der Toilette. »Willst du einen Kaffee?«, rief sie und machte sich auf den Weg in die Küche. Beim Blick auf die Uhr verwarf sie diesen Gedanken jedoch wieder, es war erst zwei Uhr morgens. Stattdessen nahm sie eine Tablette; eine leichte Unruhe machte sich in ihr breit. Unschlüssig stand sie herum und lauschte in die Nacht. Bisher hatte sie lediglich bis zu ihrem Anschlag geplant, darüber hinaus hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, dass sie mit dem Sterbenden die Stunden bis zu seinem Tode verbringen musste. Im Grunde sollte sie die sorgende Ehefrau spielen, sonst schöpfte er möglicherweise Verdacht. Aber wie sollte man dies anstellen, wenn man sich so gar nicht sorgte?
Wenn ich mich einen Dreck darum scheren würde, wie es ihm geht, müsste ich einen Arzt rufen, kam es ihr in den Sinn. Langsam arbeitete sie sich Schritt für Schritt vor zum Badezimmer. Es war merkwürdig still dort. Vorsichtig lugte sie um die Ecke und blickte direkt in seine blutunterlaufenen Augen, die ihr von der Toilette entgegenstarrten.
»Soll ich einen Arzt rufen?«, fragte sie ruhig. Nachts kam doch sowieso keiner von denen, die schliefen alle.
»Notarzt«, flüsterte er. »'s war was im Salat. Hab überall
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