Hirngespenster (German Edition)
Herrichten der Kuchenplatten beschäftigt zu sein.
Anna hatte Matthias umgebracht. Ich wandte mich wieder Jens zu. »Hat sie dir das so gesagt?«, flüsterte ich. »Dass sie ihn umgebracht hat?«
Jens atmete tief durch, seine Stimme vibrierte. »Sie hat gesagt: Der Arzt hat zu Silvie gesagt, es gibt kein Gegenmittel. Und so stand es auch im Internet.«
»Und dann kam ich mit der Polizei ins Zimmer.«
»Genau.«
Ich konnte es nicht fassen. Meine Schwester, eine Mörderin! Christine Brückner hatte es gewusst, die ganze Zeit. Und sie hatte Anna geschützt, die arme Anna, die geschlagen worden war, der die Finger gebrochen worden waren. Rechtschaffene Leute, die eine Mörderin schützten, um den Kindern die Mutter zu erhalten. Die vielleicht sogar die Tat insgeheim guthießen, denn wer wusste schon, was sie noch alles mitbekommen hatten? Die nicht noch mehr Unheil über die Kinder hereinbrechen lassen wollten. Oder über sich selbst, denn wer wohnt schon gerne neben einem Mörderhaus beziehungsweise in einem Haus, in dem die unmittelbare Nachbarin über Monate hinweg misshandelt wird, bis sie schließlich ihren Mann umbringt? Die Leute könnten reden. Warum haben die Nachbarn nichts unternommen? Ach, es war müßig, darüber nachzudenken, welche Gründe sie für ihre Tat hatten – letztendlich würden sie es nicht zugeben können, wollten sie nicht in Teufels Küche kommen. Und schließlich war ein abgeschälter Rasen kein Beweis für eine Mitwisserschaft.
Jens hingegen hatte es gewusst. An dem Tag, als er behauptet hatte, er habe die Versicherung bereits auf Matthias umgeändert, da hatte er noch gar nichts in dieser Richtung unternommen. Er hatte nicht einmal sicher sein können, ob sein Plan funktionierte; er hatte es nie zuvor versucht.
Sollte ich nun diejenige sein, die alles auffliegen ließ? Die ihre eigene Schwester anschwärzte, die offensichtlich am Rande einer Psychose stand – wenn nicht sogar schon mittendrin. Die ihren Freund in die Pfanne haute, mit dem sie seit Monaten ihren Mann betrog? Die die Nachbarn für eine Tat bestrafte, die vielleicht nicht ganz selbstlos gewesen war, aber dennoch eine gute? Nein, danke. Ich setzte mich auf den Boden an der Straßenlaterne und heulte. Für mich war das Ganze einfach zu hoch. Wie war es Anna gelungen, in ihrem Zustand einen solchen Plan durchzuführen?
Anna
Eins – zwei – drei –. Ich muss bei der Sache bleiben, dachte Anna und pflückte grüne Blätter aus dem feuchten Rasen. Es war Mitte März, sie trug keine Strümpfe. Sich Schuhe anzuziehen hatte sie vor lauter Eifer vergessen. Dass ihre nackten Zehen blau anliefen und kleine Steinchen und Tannennadeln vom Rasen sich in ihre Fußsohlen bohrten, spürte sie nicht. Zu sehr war sie mit ihren Gedanken beschäftigt und mit den letzten Vorbereitungen. Das wird ihm gut schmecken, dachte sie, und zupfte die letzten Zutaten für den Salat aus dem Kräuterbeet im Gewächshäuschen ihres Gartens. Sie durfte sich nicht verunsichern lassen durch das, was Silvie und ihre Mutter sagten. Dass Matthias erschöpft wirke, sagte Mama. Und ob sie weiter in Behandlung sei. Offenbar hatte ihr Silvie nichts erzählt von ihrer Lüge. Behandlung. Sie sprachen es aus wie ein Zauberwort, wie ein Sesam, öffne dich. Als ob das die Lösung wäre, so eine Behandlung. Wenn Matthias sie herumschubste, dann sollte sie in Behandlung! Ob es sein könne, dass sie sich selbst verletzte, nicht Matthias, hatte Silvie gefragt. Was für ein Schwachsinn. Man brach sich doch nicht selbst fast die Finger! Matthias lullte die beiden ein. Er wollte sie einschüchtern, sie wollten sie einschüchtern. Doch Anna konnte denken. Sie sah, was sie sah, und sie sah, dass Matthias sie einliefern wollte. Gestern war ein blauer Brief gekommen. Was blaue Briefe verhießen, wusste man ja: nichts Gutes. Er hatte ihn aus dem Briefkasten geholt und dabei zufrieden genickt. Dann hatte er ihn zusammengefaltet und in der Tasche seines Jacketts versenkt. Manchmal sah er sie so seltsam an, wenn er meinte, sie merke es nicht. Aber sie hatte Augen im Kopf. Letzte Woche hatte er sie angesprochen, sie gefragt, ob er einen Termin ausmachen sollte bei einem Spezialisten. Er habe von einem guten gehört.
»Ich frage mich, was so ein Spezialist macht.« Eine berechtigte Frage, wie sie fand, auf irgendetwas musste sich so ein Spezialist doch spezialisiert haben. Und was sollte sie bei so einem? Aber Matthias hatte ihr keine Antwort gegeben. »Dann eben nicht«, hatte
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