Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
Vom Netzwerk:
ins Vergessen zu schieben – sie stand immer in der ersten Reihe.

    Als wir heute beim Abendbrot saßen – Ole und Nils waren schon aufgestanden, ich selbst brauche zum Essen immer etwas länger –, da blickte Johannes Sabina plötzlich ganz ernst an und sagte: »Ich hab mir endlich verziehen.«
    Ich kaute unbeteiligt auf einem Stück Banane und blickte den Tauben nach, die an unserem Fenster vorüberflogen. Nur mit einem Auge schielte ich zu ihnen hinüber.
    »Ach?«, fragte sie und hob die Augenbrauen. »Was genau?«
    »Dass ich Silvie mit dir betrogen habe, als sie schwanger war«, sagte er und griff nach einer Scheibe Brot. »Es wird Zeit, dass ich nicht dauernd darüber nachdenke, was für ein Schwein ich war – bei ihr entschuldigen kann ich mich doch sowieso nicht mehr.« Seelenruhig schmierte er sein Brot, und ich verschluckte mich prompt, noch ehe Sabina etwas erwidern konnte. Ich spuckte große Brocken meiner Banane auf den Tisch, die Sabina mit spitzen Fingern vom Tisch klaubte. Johannes schlug mir auf den Rücken, bis ich mich wieder einkriegte. Als ich mich von meinem Verschlucker erholt hatte, sprachen sie schon wieder über etwas anderes.
    Und eben, während ich in meinem stillen Zimmer liege, dem Licht, das meine kleine Lampe an die Wand wirft, hinterherblicke und über diese seltsame Bemerkung von Johannes nachdenke, fällt mir auf einmal alles wieder ein, was sie während meiner Dunkelheit geschwatzt haben. Als hätte Johannes ein geheimes Stichwort genannt. Meine Güte, wie hatte ich das alles vergessen können?
    Während meiner Dunkelheit sagte sie zu ihm: »Ich dachte all die Jahre jeden Tag an dich. Mehrmals.«
    Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Jeden Tag. Hallo? Wir sprechen hier über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren. Jeden Tag. Mehrmals? Also direkt nach dem Aufwachen, nach dem Mittagessen und vorm Schlafengehen?
    Und wer hatte ihn in dieser Zeit? Ich.
    »Ich hatte die Nase voll von unseren Telefonaten zum Geburtstag, in denen wir uns gegenseitig beteuerten, dass unsere neuen Beziehungen einfach toll seien, auch wenn ich gar keine hatte. Ich brach nach Frankfurt auf, um dich zu sehen. Wollte wissen, ob ich nicht doch den Hauch einer Chance hätte gegen Silvie«, sagte sie.
    »Ich dachte, du bist wegen der Arbeit gekommen? Weil du so ein gutes Angebot hattest?«, neckte er. Und sagte dann: »Ich habe doch auch ständig an dich gedacht, wenn auch nicht jeden Tag, das wäre gelogen. Aber ich hab mich immer wieder gefragt, wieso ich dich nicht vergessen kann. Ich meine, jeder sagt, die erste Liebe soll man nicht so ernst nehmen. Doch du warst immer in meinem Kopf, wie ein fieser kleiner Virus.«
    Sie kicherte leise. »Und ich jubelte schon, wenn ich es geschafft hatte, einen ganzen Tag lang nicht an dich zu denken!«
    »Aber du warst doch auch mit anderen Typen zusammen«, wandte er ein. »Und du warst in China. In der Zeit kannst du doch nicht jeden Tag an mich gedacht haben.«
    »Das hab ich nur gemacht, damit ich abgelenkt war. Aber, guess what: Es hat nicht funktioniert. Selbst dort popptest du mir täglich ins Hirn.«

    So wie es aussieht, hatte Sabina sich gerade auf den Weg nach Frankfurt gemacht, als ich Johannes mit meinem Kinderwunsch konfrontierte. Vielleicht war es diese Frage, die ihn wachrüttelte. Er fragte sich, ob es das war, was er sich für seine Zukunft wünschte: Kinder mit mir. Oder ob er sich nicht viel lieber wünschen sollte, sich und Sabina noch eine Chance zu geben. Er hatte ihre E-Mail-Adresse und fragte genau das. Es muss ihn viel gekostet haben, das zu tun. Doch sie meldete sich nicht.
    Stattdessen heuerte sie zur gleichen Zeit bei einer deutschen Warenhauskette in Niederrad als Designerin für Kinderoberbekleidung an, kümmerte sich neben dem Design um den Einkauf, besuchte internationale Messen und verhandelte mit den Lieferanten aus Asien. Dabei kamen ihr das Designstudium und ihr Chinaaufenthalt natürlich zugute. Sie hätte auch bei einem der kleineren Modelabels in Frankfurt anheuern können – es gibt genügend Läden in den Stadtteilen, die eigene Kollektionen entwerfen –, aber in erster Linie ging es darum, nach Frankfurt zu kommen und Johannes wiederzusehen. Offensichtlich wollte sie nicht so plump sein, ihm vor unserer Wohnung aufzulauern und zu sagen: »Hallo, hier bin ich.« Es hätte zu sehr nach Stalking ausgesehen. Sie dachte: Irgendwann werde ich ihn schon treffen. Dass ihr die Zeit davonlief und Johannes

Weitere Kostenlose Bücher