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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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drittes Mal. Gerade als ich im Begriff war, um das Haus herumzulaufen und einen Blick auf die Terrasse zu werfen, öffnete sich die Tür der angrenzenden Doppelhaushälfte und eine Frau mit kurzen blonden Haaren musterte mich. Das musste diese Christine Brückner sein, deren Mann den Garten machte.
    »Wollen Sie zu Frau Ziegler?«, fragte sie.
    Ich nickte und reichte ihr die Hand. »Ich bin die Schwester. Silvie Jakobi. Wissen Sie zufällig, ob Anna da ist? Das Auto steht in der Garage, und um die Mittagszeit müsste sie doch zu Hause sein.«
    Die Nachbarin verschränkte die Arme. »Sie ist da, das weiß ich, aber … Ich glaube, sie ist krank oder so. Sie hat die Kinder nicht vom Kindergarten abgeholt, und weil sie sich merkwürdig benahm, als die Kindergartenleiterin sie zu Hause anrief, da bot ich mich an.«
    »Wieso benahm sie sich merkwürdig?«, fragte ich.
    »Sagte, sie könne nicht kommen …«
    In diesem Moment öffnete sich die Haustür. Lunas Gesicht lugte heraus, und sie sagte mit dünner Stimme: »Die Mama will nicht mit dir sprechen, Tante Silvie, kannst du bitte wieder gehen?«
    Frau Brückner und ich schauten sie überrascht an. »Aber wieso denn nicht?«, fragte ich und beugte mich zu ihr nach unten. »Sag ihr bitte, ich möchte sie nur ganz kurz sehen. Was hat sie denn? Ist sie krank?«
    Luna schüttelte den Kopf. »Der Papa hat gesagt …«
    »Tante Silvie, ich denke, du kommst nicht mehr?«, fragte Emma, die nun ebenfalls ihren Kopf zur Tür herausstreckte.
    Ich hatte genug gehört und schob die beiden beiseite. Die Nachbarin ließ ich vor der Tür stehen und lief zum Wohnzimmer, wo ich Anna vermutete – doch sie war nicht dort. Luna und Emma folgten mir. Mit offenem Mund blickte ich das Chaos an, das dort herrschte. Wie sah es denn hier aus? Hier stand nichts an seinem Platz! Ich lief weiter in die Küche, aber das Bild, das sich mir dort bot, sprach überhaupt völlig gegen Annas Anwesenheit im Haus. Töpfe standen herum, Geschirr war überall verteilt, auf dem Boden Krümel über Krümel. Und keine Anna.
    »Wo ist eure Mama?«, fragte ich Luna und Emma, die mich verschreckt beobachtet hatten.
    »Einkaufen!«, logen beide wie aus einem Mund.
    Ich betrachtete sie prüfend, lief dann weiter zum Schlafzimmer und riss die Tür auf.
    Dort saß jemand auf dem Bett, und ich erschrak fast zu Tode. Im ersten Moment dachte ich, es handele sich um ein Skelett. Aber es war Anna. Sie war nackt. Und ihre Haare waren fort.

    Hier im Haus lacht man darüber, wie ich mich seit neuestem fortbewege. Nun ja, ich finde, ich muss mich irgendwie fortbewegen, und wenn ich schon wegen meines Gleichgewichts nicht laufen kann, dann setze ich mich eben auf den Boden und rutsche zum Ziel. Nach ein paar Tagen Übung komme ich schon recht flott voran. Heute Morgen stand Johannes mit seiner Kaffeetasse in der Hand im Türrahmen und hat komische Geräusche von sich gegeben, die Tränen liefen ihm über die Wangen. Ich könnte schwören, dass er gelacht hat. Ich zeigte ihm die kalte Schulter und rutschte weiter. Tat, als ginge mich das rein gar nichts an. Was soll ich anderes tun? Was mich anspornt, ist das Ziel, ans Bücherregal zu kommen. Anna hat mir mal Liebesromane geliehen – gelesen habe ich sie nie –, an die will ich ran. Vielleicht steht ihr Name in einem davon. Und dann werde ich Sabina das Ding unter die Nase halten. Irgendwo in dem Regal wird eines sein, ganz sicher, ich muss nur danach suchen.
    Sabina passt es nicht, sie stoppt mich kurz vor meinem Ziel und stellt sich mir in den Weg. »Du willst mir nur mein Regal ausräumen«, sagt sie. Da hat sie recht. Aber was heißt hier ihr Regal? Immerhin ist es mein Regal! Ich rutsche an ihr vorbei, ziehe Bücher raus, eins nach dem anderen, so schnell kann sie gar nicht gucken. Es gibt ein Handgemenge, und Johannes geht dazwischen. Zieht mich mit Hauruck zurück in die Küche und presst mich auf meinen Stuhl. Schließlich macht er auch noch den Bügel zu. So haben es ihnen die Ärzte geraten, sie sollen sich auf keinen Fall meinen Willen aufzwingen lassen. Diese Scharlatane. Vertreten die Meinung, ich hätte nicht viel Verstand.
    Ich muss mich beruhigen. Manchmal gerate ich so sehr in Rage, dass mir fast der Mund schäumt vor Wut. Aber es nutzt ja nichts – selbst wenn was zu Bruch geht, lässt Sabina sich nicht erweichen. Und den Verschluss kriege ich sowieso nicht auf. Als ich erschöpft aufhöre herumzubrüllen, setzt sie sich zu mir und tätschelt meine Hand.

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