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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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»ich steh dir zur Seite« oder »das wird schon wieder«, kein In-den-Arm-Nehmen. Nicht, dass sie das erwartet hätte – In-den-Arm-Nehmen gab es ohnehin schon lange nicht mehr. Die Aale in ihrem Magen hatten sich unerbittlich ihren Weg zu Darm und Speiseröhre gebahnt, dazu hatte ein eiskaltes Gefühl ihren gesamten Körper erfasst, der sie seither erzittern ließ. Sie war allein. Auf der ganzen weiten Welt war sie vollkommen allein. »Das ist alles Silvies Schuld«, flüsterte Anna und murmelte noch etwas Unverständliches.
    Matthias blickte sie stirnrunzelnd an, versuchte, dem einen Sinn zu geben, was sie gesagt hatte. »Nicht mal ansehen wollte sie sich das Haus«, stimmte er schließlich zu. »Dabei war es ein wirklich guter Preis.« Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Dass hier eins unmissverständlich klar ist«, sagte er, »deine Schwester kommt hier nicht mehr rein, sonst gibt's ein Erdbeben!« Danach war er aufgesprungen, hatte nach seinem Mantel gegriffen und war ohne einen Einkaufszettel oder Einkaufskorb nach draußen gestürmt. Anna hatte ihm vom Küchenfenster aus nachgesehen und sich gefragt, ob er wenigstens daran denken würde, einen Kasten Wasser zu besorgen. Sie solle viel trinken, hatte der Arzt gesagt. Und bei einem letzten Blick auf die Rücklichter seines Wagens hatte sie Silvie entdeckt, wie sie die Auffahrt leichten Schrittes heraufkam und jäh zur Seite sprang, um Matthias Platz zu machen. Kurze Zeit später hatte sie den Rückweg angetreten, die feine Schwester. Anna war nicht einmal mehr einen Besuch wert. Zu einer, die Krebs hatte, kam man nicht gerne. Dabei hätte es doch eine Genugtuung für Silvie sein sollen.
    Anna verließ das Schlafzimmer und machte sich auf den Weg in die Küche, zerrte an einer Nudel, die sich im Siphon verfangen hatte, und dachte an den heutigen Morgen zurück, der ihr so weit entfernt vorkam wie der letzte Sommerurlaub. Endlich hatte sie sich ein Herz gefasst und Matthias informiert, dass sie für ihre Operation drei Tage ins Krankenhaus müsse – und zwar ab nächsten Montag. Da war er wieder ausgerastet. Wie sie sich das vorstelle, wie er ohne sie klarkommen solle, was mit den Kindern geschehen solle? Er habe genug um die Ohren, gerade habe er einen Interessenten für ein riesiges Objekt. »Bring die Sache in Ordnung«, hatte er gegrollt, bevor er zur Arbeit ging. »Denk dir was aus.«
    »Das geht aber nicht ohne meine Familie!«, hatte sie gerufen.
    »Dann ruf deine Eltern an, meinetwegen. Sollen sie die Kinder nehmen. Aber nicht Silvie. Hörst du? Silvie bleibt mir aus dem Haus!«
    Sie hatte genickt und versprochen, Silvie nicht anzurufen. Nachdem er weg war, hatte sie die Kinder unter größtem Kraftaufwand in den Kindergarten gebracht. Danach hatte sie sich auf den Badewannenrand gesetzt, Wasser einlaufen lassen und versucht, eine Rasierklinge aus Matthias' Nassrasierer zu pfriemeln, um sich die Pulsadern aufzuschlitzen – was ihr nicht gelungen war, weil die Klinge darin festsaß. Lediglich die Fingerspitzen hatte sie sich zerschnitten. Und plötzlich hatten ihre Hände für sie getan, woran sie selbst nicht gedacht hatte: Sie fuhren mit dem Rasierer über den Schädel. Irgendetwas musste sie tun, sonst wäre sie um den Verstand gekommen. Die Haare waren von ihrem Kopf auf den Boden gerieselt, und die Erinnerungen an die unbeschreibliche Übelkeit nach der Chemo, das Herauskotzen von Galle und den Geruch des Krankenhauses hatten ihre Hände immer gewaltsamer über den Kopf fahren lassen. Als der Rasierer schließlich stumpf gewesen war, hatte sie die Küchenschere zu Hilfe genommen und damit die letzten Büschel kurz über der Kopfhaut abgeschnitten. Der Krebs mochte Matthias' Geschäften schaden. Aber wenn er sie in dieser Situation verließ, dann war er beruflich tot. Niemals würde er das riskieren.

    Anna warf einen Blick über die Schulter zum Sofa, wo nur noch Emma und Clara mit einfältigem Blick vor dem Fernseher saßen, und machte sich auf den Weg zu Lunas Zimmer. Was das Kind nur wieder trieb? Sie malte vermutlich eines ihrer merkwürdigen Muster auf ein Blatt Papier, das sie danach in kleinste Schnipsel riss, die sie jedoch fein säuberlich aufräumte. Überhaupt war Lunas Zimmer der aufgeräumteste Raum des Hauses. Anna blieb für einen Moment vor Lunas Zimmer stehen und lauschte. Luna summte. Sie konnte einen verrückt machen mit ihrer Summerei, sogar ihre Lehrerin hatte sie schon darauf angesprochen: »Es stört die anderen

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