Hirngespenster (German Edition)
ich das glauben sollte. Andererseits, die vertraute Geste konnte für eine Schwester sprechen. »Dann weiß ich also gar nicht, wie deine Frau aussieht, du aber, wie mein Mann aussieht«, erwiderte ich vorwurfsvoll. »Und über meine Kinder weißt du auch ganz viel, kennst sie sogar. Über deine Kinder weiß ich rein gar nichts – noch nicht einmal das Geschlecht!«
Ein amüsiertes Grinsen zog über sein Gesicht. »Es ist erstaunlich, dass dir das jetzt erst auffällt. Ich weiß auch jede Menge von deiner Schwester, sogar, was ihr Mann beruflich macht. Ich kenne alle, die dir nahestehen.«
Was wollte er mit seinem Monolog andeuten? Dass ich immer nur von mir sprach? »Das ist jetzt unfair!«, rief ich. »Du hast selbst gesagt, ich soll dir keine Fragen stellen. Daran habe ich mich bloß gehalten!«
Hatte ich. Penibel geradezu.
»Jaja!«, beteuerte er. »So mein ich's ja auch! Du hast mich nie was gefragt, und sicher nicht aus Desinteresse, das ist mir schon vollkommen klar.«
»Also dann«, sagte ich, »schieß los.« Erwartungsvoll legte ich die Hände auf den Tisch.
Er grinste verlegen. »Oh Mann, ich hab echt Bammel davor, dir das zu beichten. Wenn ich jetzt damit rausrücke, dann haust du mir bestimmt die ganzen letzten Wochen um die Ohren, nennst mich einen Lügner und Betrüger und willst nichts mehr mit mir zu tun haben.«
Dass er ein Lügner und Betrüger war, wusste ich bereits. Ich war ja selbst eine Lügnerin und Betrügerin. Nur mit einem Unterschied. Er hatte mich belogen und betrogen.
»Ich bin gar nicht verheiratet«, sagte er, und ich sah, dass seine Hände zitterten.
Bevor ich meiner Verblüffung Luft machen konnte, fuhr er fort: »Und liiert bin ich auch nicht. Und Kinder habe ich auch keine.«
»Wie jetzt?«, fragte ich dumm.
Er blickte mich beschwörend an. »Silvie«, sagte er, »ich habe eine ganz bestimmte Masche mit meiner Anzeige verfolgt. Ich konnte auf diese Art Frauen kennenlernen, die überhaupt keine Erwartungen an mich hatten. Frauen, die mich nicht erleuchten wollten, keine, die mich von den Vorzügen einer Ehe überzeugen wollte oder davon, Kinder in die Welt zu setzen. Ich fand Frauen, die all das schon hatten, die sich nicht von ihrem Mann trennen wollten, sondern nur ein bisschen Abwechslung und Spaß suchten, genau wie ich. Ich wollte mich nicht binden, ich wollte mein Leben als Single weiter genießen, mit allen Vorzügen – keine Freundin, die mich einfangen wollte.« Er holte Atem und blickte mich unsicher an.
Mir blieb der Mund offen stehen. In meinem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn, und ich fragte mich, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht war. Eine schlechte natürlich. Denn mit einem Mal hatte ich das Gefühl, dass es genau das war, was er wollte: mich einfangen. Ich erhob mich. »Mit mir nicht«, sagte ich und wusste selbst nicht genau, was ich damit meinte.
Wie zur Verteidigung hob er beide Hände. »Ich habe mich vorher noch nie verliebt dabei! Das war auch gar nicht mein Plan! Wenn wir genug voneinander hatten, und das geschah meistens ziemlich schnell, dann trennten sich unsere Wege.«
»Und genau das war es, was mich an deiner Anzeige so angekotzt hat!«, brüllte ich. »Du hast mich da hingelockt, ich wollte dir die Meinung geigen, weil ich dachte, da hockt einer und will seine Frau betrügen, das fand ich furchtbar, weil ich dachte, Johannes könnte die Anzeige geschrieben haben. Und dann hast du mir einen Strich durch die Rechnung gemacht, hast mir gesagt, dass du meinen dicken Bauch toll findest, und meinen Busen, und ich konnte dich nicht mehr zur Rede stellen, weil mir das gutgetan hat, du Arsch! Und jetzt hast du dich in mich verliebt, und ich hatte die Vorstellung, gut, wir machen eben so weiter, treffen uns, keiner erfährt was davon, Johannes nicht und deine Frau nicht, und jetzt ist alles anders, du willst mich richtig !« Ich ließ mich wieder auf den Stuhl fallen und hielt mir die Hände vors Gesicht. »So läuft das nicht, Jens«, flüsterte ich, »so läuft das einfach nicht.«
Er nickte. Schluckte schwerfällig und nickte noch mal. Schließlich flüsterte er: »Meinst du nicht auch, ich fände es geiler, wenn das nicht passiert wäre? Ich könnte schon mit der Nächsten im Appartement liegen und in der Mittagspause vögeln. Ich müsste nicht darüber nachdenken, wie ich meinem Leiter Außendienst erklären soll, wieso ich vier Stunden draußen unterwegs bin und nicht einen einzigen Auftrag zurückbringe. Am liebsten
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