Hirngespenster (German Edition)
Grübchen. Und der Frage: Wenn es so etwas wie Schicksal gab – hatte es etwa bei ihr zugeschlagen?
Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein.
Olga hingegen hatte ihre ganz eigene Vorstellung von Schicksal. Wie verabredet, saß Sabina am nächsten Sonntag zu Kaffee und Kuchen bei ihr am Küchentisch, und Olga schob ihr das größte Stück mit der Kuchenschaufel zu. »Habe ich dir gesagt, spende ich dir Kaffee und Kuchen«, sagte sie. »Aber habe ich auch noch eine andere Iberraschung fier dich.«
Sabina betrachtete skeptisch den blätterteigartigen Kuchen auf ihrem Teller. Sah recht fettig aus, das Ganze. Und süß. Unsicher sah sie Vladimir und Ekaterina dabei zu, wie diese sich mit großem Appetit über den Kuchen hermachten – wobei Vladimirs Blick auf den Fernseher gerichtet war, in dem russische Nachrichten liefen. Die Krümel, die dabei auf den Boden fielen, scharrte er unauffällig mit dem Fuß unter den Tisch. Vorsichtig nahm Sabina einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht vom bitteren Geschmack.
»Stark ist, gell?«, erkundigte sich Olga. »Ist, weil werde ich dir lesen aus Kaffeesatz, wenn du bist's fertig.«
»Olga, der zieht mir die Schuhe aus«, entgegnete Sabina schwach und führte anschließend eine kleine Gabel des Kuchens zum Mund, auf das Schlimmste gefasst. Wieder verzog sie das Gesicht, gab sich Mühe, ihm einen wohlwollenden Ausdruck zu verleihen, obwohl es ihr schwerfiel, verdammt schwer. Sie hatte noch nie so etwas Süßes und Fettiges probiert, noch nicht einmal in China. Täuschte sie sich, oder klebte ihre Zunge am Gaumen fest? Sie konnte nicht anders und nahm wieder einen Schluck Kaffee. Sehnsüchtig dachte sie an ein Stück Butterstreusel mit Milchkaffee, wie sie es liebte, und sah sich in der Küche um, wie so oft schon. Hier hingen allein drei Fotokalender verschiedener Tankstellen der näheren Umgebung. Auf allen war ein bunt belaubter Baum mit Fahrzeug und Mädchen im Bikini abgebildet. Auf den Ablageflächen tummelten sich russische Matrjoschkas neben einem Samovar auf bestickten Deckchen, deren einzigartiges russisches Muster Sabina seit jeher sehr gut gefiel – nur hatte sie etwas gegen Platzdeckchen. Sie fragte sich, ob sie den Kaffee vielleicht auch wegkippen konnte, in die kleine Topfpflanze hinter sich möglicherweise. Doch Olga wandte nicht den Blick von ihr, wartete gespannt auf ein Urteil über ihren Kuchen, den sie sicherlich mit viel Liebe in Öl ertränkt hatte.
»Meckt hut«, nuschelte Sabina und spülte noch einen Schluck Kaffee hinterher, kaute dann wieder ein kleines Stück, wiederholte dies alles so lange, bis vom Kaffee nur noch der Satz zu sehen und der Kuchen endlich aufgegessen war. Er lag ihr bleischwer im Magen. Und sie sehnte sich nach einem Glas Leitungswasser. Zwischenzeitlich hatten Ekaterina und Vladimir noch zwei weitere Stücke verdrückt und holten sich Nachschub. Olga grapschte nach Sabinas Tasse und betrachtete eingehend den Satz.
»Hast du junge Mann kennegeleeernt«, dehnte sie ihre Worte, ganz im Stil einer Wahrsagerin.
Sabina nickte vielsagend. Es war ja nicht schwer zu erraten.
»Hibsche junge Mann ist, stimmt?«
Sabina grinste breit und nickte wieder.
Olga lachte erfreut auf und schwenkte die Tasse ein wenig nach links und nach rechts, stockte, warf Sabina einen merkwürdigen Blick zu, schwenkte wieder hin und her und stellte die Tasse schließlich ab.
»Wierde ich Finger lassen von die junge Mann«, sagte sie leise und fingerte an ihrer Bluse, als habe sich dort ein unsichtbarer Fussel versteckt.
»Äh, wieso?«, fragte Sabina perplex.
Olga machte eine fahrige Handbewegung. »Ist Zeitverschwendung.«
»Zeitverschwendung?«
»Ja! Kannst du dir sparen Zeit. Nur Ärger gibt.« Olga stand auf und kämpfte sich hinter dem Tisch hervor.
»Ja, aber – wieso denn?«, rief Sabina und griff nach der Tasse, um in den Kaffeesatz zu blicken. Außer einer gleichförmigen schwarzen Masse war nichts zu erkennen. »Sag mir bitte sofort, was du gesehen hast!«, beschwor sie Olga.
Doch die entriss ihr die Tasse und kippte den Kaffeesatz kurzerhand in den Ausguss. »Habe ich genug gesagt, und gesehen sowieso nicht viel. Zeitverschwendung ist eben. Am besten, du gehst nicht mehr hin.«
»Einen Teufel werde ich tun!«, sagte Sabina und tippte sich belustigt an die Stirn. »Das nächste Mal fragst du mich vorher, ob du in meinem Kaffeesatz lesen darfst!« Sie erhob sich. »Und danke für den super Kuchen, ich muss …
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