Hirngespenster (German Edition)
würde ich dich jeden Tag sehen, dich und deine Kinder. Ich hatte noch nie so eine lange Affäre mit einer, da kam nie die Sprache auf den Mann oder die Kinder, und es hat mich auch nicht die Bohne interessiert – aber du, du hast mich einfach so in dein Leben involviert. Hast mir von deinen Terminen erzählt und dem ganzen Ärger mit deiner Schwester, und du hast mich um meine Meinung gefragt, als wäre es das Normalste von der Welt!«
Anscheinend war das nicht das Normalste von der Welt, und ich fragte mich, worüber er sich sonst mit den Frauen unterhalten hatte.
»Sogar abends hast du mich angerufen und mir gesagt, auf welches Programm ich schalten soll, weil da was Interessantes für mich läuft. Das kam so normal rüber, so völlig un-einengend. Mit dir kann ich mir auf einmal vorstellen, in einer Beziehung zu leben, auch mit Kindern. Bei dir scheint alles so alltäglich – und wie schwer es auch alles in den Einzelheiten ist, du schilderst immer alles mit Humor …«
»Galgenhumor!«, rief ich.
»Und du nimmst kein Blatt vor den Mund. Wenn dir was in den Sinn kommt, dann platzt du damit heraus, ohne Rücksicht auf Verluste.«
Dieses Kompliment hatte ich mir bisher immer als Vorwurf anhören dürfen – offenbar hätte ich kein Diplomat werden können.
»Jens«, sagte ich schließlich, »ich werde Johannes nicht für dich verlassen.«
Warum um den heißen Brei herumreden?
Und damit, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, lag er verdammt richtig.
Ich hörte noch Jens' Schritte auf der alten Holztreppe im Flur unseres Mehrfamilienhauses, da loggte ich mich ins Internet ein und bestellte mir bei Amazon per Overnight-Courier eine Staffel »Die Waltons«. Ich musste mich dringend ablenken von dem Desaster, das mein Leben war. Ich nahm mir vor, mich in den nächsten Tagen aufs Wochenbett zu beschränken, so wie es sich für eine gehörte, die gerade entbunden hatte. Ich wollte fernsehen und in Erinnerungen an die guten Zeiten meines Lebens schwelgen. Ich wollte nicht an Jens denken, sondern endgültig der Beziehung zwischen Johannes und mir eine Chance geben.
Hatte ich das schon mal gewollt, und es war erst wenige Tage her? Konnte sein. Diesmal aber wirklich!
Als ich dort am Küchentisch vor meinem Laptop saß, überkam mich plötzlich eine unbändige Lust nach einer Zigarette, und hätte ich noch von einem Vorrat irgendwo in der Bude gewusst, ich hätte sofort eine gepafft, Stillen hin oder her. Aber ich hatte keine. Also griff ich mir eine nicht mehr ganz taufrische Packung Kekse aus dem Schrank und setzte mich ans Fenster. Lauschte, ob Nils hustete oder Ole krähte, aber beide waren still.
Am Nachmittag verabreichte ich Nils ein Fieberzäpfchen und einen Löffel Hustensaft und zog mit ihm und Ole eine Runde durch den Holzhausenpark. Die Sonne flimmerte durchs Geäst, und die Luft roch frisch an diesem Spätsommertag. Zum ersten Mal seit Monaten sah ich klar, fühlte mich, als sei ich von einer hartnäckigen Krankheit genesen, und könne nun wieder nach vorne schauen und Zukunftspläne schmieden. Ich wollte die Küche renovieren und neue Badvorleger kaufen, auch mal hinter dem Fernseher wischen. Ich wollte mindestens sechs Monate stillen, egal, ob es meine Brüste ruinierte oder nicht, denn für was brauchte ich noch knackige Brüste? Ich blieb mit Johannes zusammen, der auch nie Sport trieb.
Plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen, getroffen von einer Frage, die ich mir bisher nie gestellt hatte: Musste ich Johannes meine Affäre eigentlich beichten?
Langsam ging ich wieder ein paar Schritte vorwärts. Um Gottes willen, nein. Bloß nicht. Ich würde nur unnötig Porzellan zerschlagen, einen Neuanfang vereiteln. Sicher, eine Beichte würde mein Gewissen beruhigen, aber bei Johannes viel zu viel kaputt machen. Das war meine Affäre kaum wert gewesen. Nein. Nein, auf gar keinen Fall.
Als ich die Tür zu unserer Wohnung öffnete, war Johannes bereits zu Hause und sah mir aus der Küche entgegen. »Oh«, lächelte ich freudig, legte Ole auf dem Boden ab und gab Nils einen Stubser in Richtung Johannes, »du bist aber früh dran heute.«
Er lehnte sich an den Türrahmen zur Küche und verschränkte die Arme. »Sag mal Silvie«, sagte er, »wer ist denn eigentlich Jens Reimer?«
Was für ein herrlicher Tag. Wir sind im Zoo – doch obwohl ich schon ganz gut laufen kann, schiebt Sabina mich –, dabei würde ich mir nichts sehnlicher wünschen, als mit Ole und Nils an der Hand ganz nah
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