Hirschgulasch
so beeilen?«, will Marjana wissen.
»Hast du nicht aufgepasst? Wir brauchen kein Taxi. Wir fahren mit
dem Bus«, sagt Wiktor.
»Hey, psst. Was war das?«, fragt Luba.
»Was?« Wiktor und Marjana sehen sich an.
»Na, das Scheppern draußen, seid ihr taub?«
Es klopft.
Luba zieht die Schultern hoch. »Was tun wir jetzt?«
»Aufmachen«, sagt Wiktor.
»Los, schnell die Rucksäcke in den Schrank«, zischt Marjana und öffnet
die Tür, nachdem die Rucksäcke verstaut sind. Eine blonde Frau und zwei Männer
stehen vor ihr.
Leni stellt sich und ihre Begleiter vor: Kommissarin Morgenroth,
Kollege Weidinger, Kollege Lebow.
»Was wollen Sie?«, fährt die ältere der beiden Frauen sie in
perfektem Deutsch an.
»Ihre Personalien bitte. Ausweise, Reisepass.«
Die Frau zieht unwillig eine Schrankschublade auf und nimmt ihren
Pass heraus. »Украïна«. Den goldenen Schriftzug kennt Leni mittlerweile schon.
Die Frau heißt Marjana Luschenko. Sie sagt, sie sei Historikerin und
habe einen Vortrag in der Dokumentation am Obersalzberg gehalten. Jetzt mache
sie mit ihren Freunden noch ein paar Tage Urlaub in den Alpen.
Leni schlägt den nächsten Pass auf: Wiktor Owtscharow. Sie blickt
vom Foto zu dem kräftigen Mann mit dem streichholzkurzen grauen Haar, und eine
Hitzewallung rast wie eine brennende Zündschnur durch ihren Körper. Ein eng
getanzter Discofox in der Tenne, seine Hände auf ihrer Hüfte, sein Drängen. Und
wie schnell sie vor ihm Reißaus genommen hat, vor diesen Händen, die sie an
sich gezogen haben.
Mit heißem Gesicht wendet sie sich von Wiktor ab. Ob er sie auch
wiedererkannt hat? Leni schlägt den Pass der jüngeren Frau auf. Sie heißt Luba
Munin und stammt ebenfalls aus Kiew. Sie drückt Lebow die drei Pässe zur
Überprüfung in die Hand.
»Ich möchte Sie bitten, mit uns ins Präsidium zu kommen.«
»Wozu?«, fragt Marjana.
»Wir möchten Sie zu einigen Vorgängen und Personen befragen und Sie
möglicherweise als Zeugen vernehmen.«
»Wieso denn? Was haben wir verbrochen?«
»Nichts. Sie stehen nicht unter Anklage.«
»Weshalb auch!«, schnaubt Marjana.
»Kommen Sie doch bitte mit, ja? Ich habe schon einiges von Ihnen
gehört und freue mich wirklich darauf, Sie endlich näher kennenzulernen. Wir
bringen Sie hinterher auch wieder in Ihre Ferienwohnung zurück.«
»Das ist aber nett von Ihnen.«
»Sprechen Ihre Freunde nur Russisch?«, fragt Leni, obwohl sie es
besser weiß.
»Nein, auch Ukrainisch und Englisch.«
In der Tenne hat sie nur den Mann, Wiktor, gesehen. Waren die beiden
Frauen auch dabei gewesen und haben sie mitbekommen, wie sie mit Wiktor getanzt
hat? Scheiß drauf, denkt Leni, es hilft jetzt eh nichts mehr. Ich muss meine
Arbeit machen, eine ganz normale Vernehmung.
Marjana spuckt einen Satz auf Russisch oder Ukrainisch durch den
Raum. Er klingt wie eine Verwünschung.
Die Fahrt zur Polizeiinspektion verläuft schweigend. Sie fahren in
zwei Autos. Wiktor sitzt bei Lebow im Wagen. Die beiden Frauen bei Leni und Leo
Weidinger. Spricht das nun für die drei, dass sie freiwillig mitgekommen sind?
Lenis Gefühl sagt ihr, dass das keine skrupellosen Kriminellen sind. Aber
irgendetwas stimmt mit ihnen trotzdem nicht.
***
Als die Kommissarin ihnen im Präsidium das Bild eines Mannes unter
die Nase hält, weiß Marjana sofort, dass er der Mann am Pool war und der, der
sie auf dem Gang zu ihrem Zimmer verfolgt hat. Sie hört das Knirschen seiner in
der Tür eingeklemmten Finger, und sie spürt wieder, wie die Panik ihr das Herz
eng werden ließ. Um ein Haar hätte er es geschafft, sie zusammen mit der Tür
wegzuschieben.
»Kennen Sie diesen Mann?«
Kopfschütteln.
»Dann wissen Sie auch nicht, was er hier gemacht hat?«
Achselzucken.
»Könnte es sein, dass er Sie hier treffen wollte? Dass er Sie gesucht
hat?«
»Wieso denn?«, fragt Marjana.
»Das möchte ich gern von Ihnen wissen.«
»Tut mir leid, aber da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Ich kenne
den Mann nicht.«
»Und Ihre Begleiter?«
Wiktor und Luba schütteln ebenfalls den Kopf.
»Laut Eintrag im Pass sind Sie am 14. Mai nach Frankfurt
eingereist. Was war der Grund für Ihre Einreise?«
»Urlaub, so wie es auch in unseren Visa-Anträgen steht. Und ein
bisschen Arbeit für mich.«
»Können Sie mir das etwas näher erläutern«, fragt die Kommissarin.
»Was haben Sie hier gearbeitet?«
»Ich bin Historikerin, wie ich schon sagte. Die Dokumentation am
Obersalzberg hat mich zu einem Vortrag
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