Hirschgulasch
lange gehalten hat.«
»Oh ja, mein Alexej und ich. Wir werden sowieso bald wieder zusammen
sein. Ach Alexej, komm mich bitte bald holen, du siehst doch, dass das nichts
mehr wird mit mir altem Weib.«
Die Augen werden Mila nass, aber schon zwinkert sie Marjana zu.
»Denk dir nichts«, sagt sie, »in meinem Dorf sind wir alle so sentimental, da
kann man nichts machen.«
Dann setzt sie ihre klapprige Brille auf, öffnet das Buch, das Luba
ihr gereicht hat, und liest vor: »Seit Tagen schleppen wir Gold in den Stollen.
Wenn einer mit einem Silberleuchter hier hereinkommt, dann spürt er gleich den
Knüppel im Nacken. Der Wachmann spielt mit dem Knüppel herum, hebt ihn hoch,
lässt ihn in seine Hand sausen, die in einem Lederhandschuh steckt. Das ist
sehr gefährlich, denn schneller, als du ihn siehst, spürst du ihn, auch wenn du
gar nichts falsch gemacht hast. Ich gehe immer wieder ganz nach hinten in den
Stollen. Dort habe ich bemerkt, dass es einen Luftzug gibt. Ich möchte wissen,
woher die Luft kommt. Ich habe eine Ahnung. Und wenn diese Ahnung zutrifft,
kann ich vielleicht mein Leben retten.«
Mila legt das Buch zur Seite. »Es hat ihm das Leben gerettet. Alexej
war klug. Luba, hast du gewusst, dass Alexej Deutsch sprechen konnte? Sogar die
Schrift konnte er lesen. Manchmal, wenn wir eine deutsche Zeitung aus Kiew
bekommen haben, dann hat mir Alexej daraus vorgelesen, und dann haben wir
Zugfahren gespielt. Wir haben die Stühle in der Küche hintereinander aufgestellt
und sind Zug gefahren. Gut, dass uns keiner dabei gesehen hat, denn manchmal
waren wir ziemlich kindisch.«
Beim Abschied flüstert Mila Luba ins Ohr: »Machst du Bilder, wenn
ihr in Deutschland seid? Ich möchte so gern einmal die hohen Berge sehen, von
denen Alexej erzählt hat. Vielleicht kommst du ja noch einmal zu mir, bevor ich
tot bin.«
»Natürlich komme ich. Die Medikamente, die ich dir mitgebracht habe,
sind das Beste vom Besten. Wirst sehen, im Sommer bist du so munter wie in
alten Zeiten.«
Im Rückspiegel sieht Luba, wie Mila ihnen, auf nur einen Stock
gestützt, mit der freien Hand nachwinkt.
***
»Was ist das denn hier?«, fragt Luba.
Sie sind in das erstbeste Lokal an der Straße gegangen, weil Marjana
unbedingt einen Wodka brauchte »nach den Strapazen der Zone«, wie sie sich
ausdrückte. Und zum Nachdenken. Nun sitzen sie an einem Bartresen, der mit
einer Acrylglasscheibe vom Lokal abgetrennt ist, hinter der man die Beine der
Barmädchen betrachten kann, die allesamt in sehr kurzen Miniröcken und sehr
hochhackigen Schuhen stecken.
»Bar mit Beinen«, sagt Marjana. »Na Sdarowje.« Sie kippt den Wodka wie Wasser und hält das Glas in Richtung Bardame. »Noch
einen.«
»Und, was sagst du?«, fragt Luba.
»Ich sage: Wahnsinn! Ich glaube, ich weiß, um welchen Ort es geht.
Hitler hatte dort ein Haus, oben auf einem Berg. Und fast alle Nazibonzen
hatten auch Häuser dort. Es gab Bunkeranlagen, unterirdische Gänge im Fels,
alles. Es ist auch bekannt, dass Göring …«
»Wer war das?«
»Das war der ›Reichsmarschall‹, ein sehr hoher Nazi. Sah aus wie ein
Zirkusdirektor mit einer weißen Uniform und vielen Orden, Goldquasten und so
Zeug. Er hat kurz vor Kriegsende noch Güterwaggons mit Gold und anderen
Schätzen dorthin bringen lassen, um es in den Bunkern oben zu verstecken. Man
sagt, dass einiges von Plünderern gestohlen und der Großteil entdeckt wurde.
Aber ob das stimmt? Ja, es wurde einiges gefunden und von den Russen und den
Amerikanern kassiert, je nach Fundort. Aber wie viel vielleicht noch irgendwo
versteckt liegt, weiß niemand.«
»Hat denn bisher keiner danach gesucht?«
»Doch, natürlich. Es heißt immer wieder, dass Kisten mit
Nazischätzen in einem See in Österreich versenkt worden sind. Mittlerweile ist
dort Tauchverbot, weil zu viele dort herumgesucht haben. Gefunden hat man bis
heute nichts, beziehungsweise es ist nichts davon bekannt geworden. Ach,
Kindchen, Luba, wäre das nicht großartig, wenn wir dort einfach mit der Karte
in der Hand den großen Schatz heben könnten wie Long John Silver?«
»Und wer ist das schon wieder, auch ein Nazi?«
»Quatsch, das ist der einbeinige Schiffskoch aus der ›Schatzinsel‹.«
»Du bist doch Wissenschaftlerin. Hältst du es wirklich für möglich,
dass da in den Bergen noch etwas liegt, ein echter Schatz?«
»Natürlich halte ich das für möglich.«
Luba sah sie nachdenklich an. »Und jetzt?«
»Was, und jetzt?«
»Wie kommen wir da
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