Hirschgulasch
Zwangsarbeitern
und dem Dokumentationszentrum am Obersalzberg, ihren Verbindungen zum Institut
für Zeitgeschichte in München, aber es nützt nichts, sie muss ihren Koffer auf
den Tisch legen und ihn öffnen. Die Beamtin nimmt eines der Bücher aus dem
Koffer.
Wiktor steht in der Schlange hinter ihr, zwei Männer sind zwischen
ihnen. Da schreit er die Zollbeamtin auf Englisch an: »Wollen Sie hier jetzt
auch noch lesen? Ich stehe doch nicht rum, weil ich darauf warte, dass die
Musik zum Tanz aufspielt. Ich habe wichtige Termine, verstehen Sie? Es gibt
Menschen, die müssen auch noch was arbeiten.«
Die Beamtin legt das Buch zurück und winkt die beiden Passagiere vor
Wiktor durch. Dann fordert sie ihn auf, Koffer und Tasche auf den Tisch zu
legen.
»Sie haben es also eilig?«
»Ja. Ist doch nicht verboten, oder? Ich habe einen Termin in der
Stadt, geschäftlich. Und ich bin ziemlich spät dran.«
»Natürlich. Geschäftlich. Was haben Sie in Ihrer Tasche?«
»Was soll ich da schon drin haben? Meine Wäsche natürlich.«
»Dann sehen wir uns die doch einmal an. Öffnen Sie die Tasche bitte,
leeren Sie sie einfach aus.«
»Was, hier, vor allen Leuten?«
»Spreche ich undeutlich? Ist mein Englisch schlecht?«
»Nein, aber es gibt doch auch so etwas wie Privatsphäre, oder?«
»Wenn Sie etwas mit sich führen, für das Sie sich jetzt schämen
müssen, dann hätten Sie darüber vielleicht besser beim Einpacken nachdenken
sollen. Also raus mit dem Krempel. Ich werde nicht kontrollieren, ob Sie Löcher
in den Socken haben.«
Wiktor öffnet die Tasche. Die Beamtin fasst ein paar Unterhosen mit
zwei Fingern an, wirft sie dann zurück. »Sie können die Sachen wieder
einräumen. Und jetzt den Koffer bitte.«
»Sie wollen mich schikanieren.«
»Wollen Sie sich irgendwo beschweren? Vielleicht im
Innenministerium?«
»Ich möchte korrekt behandelt werden.«
»Sie leeren jetzt den Koffer aus, und zwar hier auf diesen Tisch.
Hinterher können Sie sich dann meinetwegen beschweren, wenn Sie der Meinung
sind, dass Sie nicht korrekt behandelt worden sind.«
Auf den Tisch regnen Spitzen- BH s und
Höschen in Rot, Lila und Rosa, Strümpfe, Strumpfhosen, ein paar luftige, sehr
bunte Sommerkleider, Pumps, Riemchensandalen. Am Ende plumpst noch ein
täuschend lebensechter fleischfarbener Dildo auf den Tisch.
»Und wofür brauchen Sie das?« Die Beamtin zieht sich ein Paar
Handschuhe über und hebt den Dildo hoch.
Durch die Schlange der Wartenden geht ein Raunen, einer pfeift
anerkennend durch die Zähne, eine Frau kichert.
»Das bringe ich einer Freundin mit. Ist das in Deutschland verboten?
Sie sehen doch, es ist alles gebraucht, oder?«
»Packen Sie ein und sagen Sie Ihrer Freundin, dass man diese Sachen
auch in Deutschland kaufen kann. Neu.«
Wiktor stopft alles zurück in den Koffer. Die Stimmung in der
Warteschlange ist ausgelassen. Der Mann hinter ihm zwinkert ihm aufmunternd zu.
In der Halle warten Luba und Marjana auf ihn. Im Vorbeigehen zischt
er ihnen zu: »Wir treffen uns im Hotel. Geht nach draußen, nehmt euch ein
Taxi.«
***
Luba und Marjana amüsieren sich während der ganzen Fahrt über
Wiktors Kofferaffäre am Flughafen.
»Ich finde, wir haben das ziemlich genial durchgezogen. Hattest du
keine Angst, die Frau würde die Bücher durchsehen?«, fragt Luba.
»Doch, natürlich. Ich hab mir fast ins Höschen gemacht, als die
eines der präparierten Bücher herausnahm. Zwei Sekunden später wäre ich in
Ohnmacht gefallen, ich schwör’s dir. Das war schon ziemlich clever von unserem
Macho, dass er die so angemacht hat. Sie ist ihm voll auf den Leim gegangen.
Arme deutsche Grenzbeamtin.«
»Und dann die Reizwäsche und der Dildo. Köstlich!«
»Ich bin nicht sicher, ob Wiktor uns dafür nicht noch eins überbrät.
Ich weiß nicht, ob seine Macho-Ehre das verkraftet, dass er als Transe dasteht,
die’s ihrer deutschen Freundin mit einem gebrauchten Dildo aus Kiew besorgt. Oh
Gott, stell dir das vor!«
Sie haben die Skyline von Frankfurt schon vom Flugzeug aus gesehen.
Den Messeturm, das Bankenviertel. Im Vergleich zu Kiew mit seinen fast drei
Millionen Einwohnern ist Frankfurt ein Städtchen, hat aber viel interessante
moderne Architektur. Das Hotel liegt in der Innenstadt, drei Minuten von der
Alten Oper, zehn Minuten vom Bahnhof und von der Zeil, der berühmten
Einkaufsmeile, entfernt. Luba und Marjana wollen unbedingt shoppen gehen, aber
zuerst muss die Geldübergabe über die Bühne gegangen
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