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Hirschgulasch

Hirschgulasch

Titel: Hirschgulasch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graf-Riemann/Neuburger
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Brauen hoch. Man könnte
denken, hier seien zwei Taubstumme aneinandergeraten, aber nun verliert der
Barmann die Nerven: »Eine Bloody Mary?«
    »Seh ich so aus?«, fragt Wiktor zurück.
    »Wodka pur?«
    Na endlich. Wiktor nickt.
    Von hinten sieht der Junge ziemlich knackig aus. Als er den Wodka
serviert, linst er über Wiktor hinweg. Wiktor weiß, dass es ein absolutes No-Go
ist, aber er dreht sich trotzdem um, und hätte er seinen Wodka bereits
getrunken, dann dächte er jetzt, er sei blau. Ein Frauen-Paar kommt auf ihn zu,
das aussieht wie Zwillingsschwestern: glitzernde Tops mit viel Bewegungsfreiheit
vorne, eng anliegende schwarze Hosen, die in die hochhackigsten und goldensten
Riemchen-Sandalen münden, die Wiktor je gesehen hat. Und hätte die eine der
beiden sich nicht sofort auf seinen Wodka gestürzt und ihn in einem Zug in sich
hineingeschüttet, dann hätte er die beiden nicht als die erkannt, die sie sind.
Marjana reckt drei Finger in die Luft, und so reißt sich der coole Blonde von
Lubas Dekolleté los und erinnert sich daran, dass er zum Arbeiten hier ist.
    »Vielleicht sollten wir doch einen Film zusammen drehen«, sagt
Wiktor und versucht, je einen Arm um seine Begleiterinnen zu legen.
    »Bei dir alles klar?«, fragt Luba. »Hast du die Kohle?«
    »Was denkst du denn? Mädels, das müssen wir feiern. Habt euch ja
mächtig in Schale geworfen. Ich glaube, solche Schuhe bekommt man nicht an
jeder Ecke.«
    »Italienisch«, sagt Luba.
    »Prada«, sagt Marjana.
    Wiktor hält es für einen Scherz und lacht.
    Da dreht Marjana ihm den Rücken zu, streckt das Bein nach hinten und
legt ihm den Schuh aufs Knie. Das Prada-Logo auf der fast unberührten silbernen
Sohle ist perfekt erkennbar.
    »Lammleder.« Marjana schwingt das Bein wieder auf den Boden.
    »Wow.« Wiktor schüttelt bewundernd den Kopf. »Da habt ihr aber tief
in die Tasche gegriffen, was?«
    Luba tut so, als hätte sie ihn nicht verstanden. Marjana macht eine
Handbewegung, bei der Wiktor misstrauisch wird.
    »Was habt ihr denn für die ganzen Fummel bezahlt?«, will er wissen.
    »Och, das war alles gar nicht so teuer, wie du denkst«, sagt
Marjana. »Wollten wir nicht feiern? Wo bleibt der Wodka?«
    Die nächste Frage, die Wiktor auf der Zunge liegt, braucht er gar nicht
mehr zu stellen, denn er kennt die Antwort bereits. Er sieht abwechselnd von
Marjana zu Luba. Beide lehnen lässig an der Bar und sehen völlig unbeteiligt
dem Barmann beim Einschenken der glasklaren Flüssigkeit aus der beschlagenen
Flasche zu.
    Eine Serie wüster Schimpfwörter explodiert in Wiktors Kopf, und eine
entsetzliche Furcht krampft seinen Bauch zu einem harten Klumpen zusammen. Er
hat eine Vision: Er sieht eine schwarze Limousine mit verdunkelten Scheiben vor
dem ultramodernen Hotelgebäude vorfahren. Die hintere Wagentür öffnet sich; das
Gesicht mit dem hässlichen Maul, in dem vorher sein Bier in zwei Zügen
verschwand, schiebt sich ins Licht der Straßenlaterne.
    Wiktors Magen rebelliert, als kröche ihm ein Tausendfüßler die
Speiseröhre hinauf. Er reißt dem Barmann ein Glas Wodka aus der Hand und kippt
es hinunter. Dann wühlt er in der Tasche nach einem Geldschein, wirft ihn auf
den Tresen und packt seine beiden Goldhühnchen an den Armen. Er wartet genau
drei Sekunden, bis sie ihre leeren Gläser wieder abgestellt haben, dann zerrt
er sie mit einem Ruck von der Bar weg.
    Der Barmann freut sich, weil Wiktor das Wechselgeld nicht mehr abwarten
wird, und er freut sich, weil er endlich etwas versteht. Es ist nur ein Wort,
das Wiktor wieder und wieder durch die Zähne presst, und das kennt sogar der
Barmann: »Dawei, dawei! Dawei, dawei, dawei!«
    »Sie werden uns umbringen.« Wiktor stößt die beiden in den Aufzug.
»In fünf Minuten habt ihr gepackt. Wir treffen uns unten, ich warte im Taxi auf
euch. Wenn euch etwas komisch vorkommt oder wenn ich nicht da sein sollte, dann
steigt in ein anderes Taxi, fahrt zum Bahnhof und nehmt den nächsten Zug
Richtung Süden. Nach München. Wir treffen uns entweder dort, oder wir treffen uns
gar nicht mehr. Nie mehr, kapiert? So, und jetzt los.«
    ***
    Sie brauchen fast fünfzehn Minuten, bis sie umgezogen sind und alles,
auch die Prada-Schuhschachteln, verpackt ist. Die letzte Fahrt mit dem
luxuriösen Aufzug aus dem Fünf-Sterne-Hotel hinunter in die harte Realität ist
zu schnell gekommen. Unten wartet ein Taxi mit laufendem Motor. Als sie näher
kommen, sehen sie Wiktors Gesicht am Fenster. Er steigt nicht aus, um

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