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Hirschgulasch

Hirschgulasch

Titel: Hirschgulasch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graf-Riemann/Neuburger
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egal. Ich brauche ein Hotel, und wenn es das Chelsea
wäre und ich mir ein Zimmer mit dem schwermütig Gitarre klimpernden Leonard
Cohen teilen müsste.«
    In der Seitenstraße, die vom Bahnhofsgebäude abzweigt, spiegelt sich
auf dem regennassen Gehweg der orange-rot leuchtende Neonschriftzug der
Candy-Bar. Darüber das Hotelschild: Hotel Monaco. Zu spät für alles, denkt
Wiktor. Ein einziges Auto befährt die Straße, die Reifen spritzen kleine
Wasserfontänen auf.
    »Das nenn ich Glück.« Marjana deutet auf das Leuchtschild »Zimmer
frei« am Hauseingang.
    »Heute ist es vielleicht Glück«, sagt Wiktor finster. »Morgen schon
könnte es dein Verderben sein.«
    »Hört sich an, als würdest du gerade für die Schulaufführung einer
griechischen Tragödie üben«, spottet Marjana.
    »Und du, als wolltest du Humphrey Bogart an Coolness in den Schatten
stellen.«
    »Also ich finde, euer Geschnatter hört sich an, als wärt ihr schon
seit ewigen Zeiten verheiratet«, bemerkt Luba.
    Neben dem Hoteleingang steht die Tür zur Candy-Bar offen, aber ein
schwerer Vorhang blockiert die Sicht auf das Innere. Musikfetzen, die zu den
rot pulsierenden Lichterketten passen, wabern ins Freie. Eine Blondine mit
hüftlangem glattem Haar kommt aus der Bar. In dem Moment, in dem sie auf den
Bürgersteig tritt, bremst ein wie aus dem Nichts auftauchendes Taxi, und die
Blondine gleitet in den Fond des Wagens, zuletzt folgen ihre schwarzen
Lack-Overknees.
    Luba stößt Wiktor, der völlig versunken dem Taxi nachsieht, in die Seite.
»Sieht so dein Typ aus?«
    »Blödsinn, ich bin eben auf der Hut, und das habe ich euch zu verdanken.«
    Die Tür zur Rezeption des Hotels schwingt automatisch auf. Der
Eingangsbereich ist mit einem grau-blauen Teppich ausgelegt. Es riecht ein
bisschen nach Moder, als ob Vorhänge und Teppiche schon seit Jahren nicht mehr
gereinigt worden wären und sich der Rauch inzwischen verbotener Zigaretten in
die neue Zeit hätte retten können.
    »Drei Einzelzimmer mit Bad bitte«, sagt Marjana.
    Der Nachtportier sieht im Computer nach.
    »Für eine Nacht?«
    Marjana nickt.
    »Das macht zusammen zweihundertvierzig Euro. Wollen Sie die Zimmer?«
    »Ja, natürlich«, sagt Marjana.
    »Die Ausweise bitte. Und das Geld, in bar. Unser
Kreditkartenterminal ist leider kaputt.«
    »Kein Problem«, sagt Marjana. Doch bevor sie den Geldbeutel in ihrer
Handtasche findet, hat Wiktor das Geld schon zusammen mit seinem Pass auf den
Tresen gelegt.
    »Frühstück ab sieben Uhr dreißig, im zweiten Stock, dort sind auch
Ihre Zimmer.«
    »Ich habe Hunger wie ein Bär«, stöhnt Wiktor im Aufzug.
    »Nützt nichts, heute Nacht bekommst du nichts mehr. Die Restaurants
haben schon zu, und in der Candy-Bar willst du keine Tiefkühlpizza essen,
oder?«, meint Marjana. »Ich werde einen kleinen Wodka aus der Minibar zu mir
nehmen, das hilft auch.«
    Auf dem Weg zu ihren Zimmern nimmt Wiktor einen Flyer aus einem
Prospektständer und hält ihn Marjana unter die Nase.
    »›Schlemmerreise durch die bayerische Küche‹«, liest sie vor. »›Von der
Schweinshaxe und den Weißwürsten bis zum leckeren Hirschgulasch mit Spätzle und
Preiselbeeren: Die bayerische Küche ist herzhaft und deftig.‹ Warum
interessiert dich das denn jetzt?«
    »Weil ich gerade dabei bin, vor Hunger einzugehen, zu halluzinieren,
und dieser Teller ist meine Fata Morgana. Wenn wir in Berchtesgaden sind, dann
will ich so etwas essen. Ich werde euch auf ein Hirschgulasch einladen.«
    »Ich glaub, ich mag gar kein Hirschgulasch«, sagt Luba.
    »Warum denn nicht?«
    »Wegen der Hirsche natürlich, der armen.«
    »Erstens sind Hirsche an sich nicht arm, und zweitens sind sie bereits
tot, wenn sie zu Gulasch verarbeitet werden. Sie spüren nichts mehr von dem,
was mit ihnen passiert.«
    »Hast du überhaupt kein Herz?«, fragt Luba.
    »Eigentlich schon, nur wenn ich Hunger habe nicht«, sagt Wiktor.
    »Los, auf eure Zimmer«, scheucht Marjana sie mit wedelnden Armen.
»Bis morgen um halb acht beim Frühstück, und ich nehme deine Einladung an,
Wiktor.«
    »Wusste ich es doch, dass du nicht so zimperlich bist«, freut sich Wiktor.
    »Ich habe ein Herz für Menschen, Luba. Über Hirsche hab ich bisher
noch nicht nachgedacht.«

München-Grafing, 15. Mai 2010
    Am nächsten Morgen fahren sie weiter Richtung Salzburg, nachdem
Marjana in der Bahnhofsbuchhandlung eine topographische Karte der Alpen und des
Nationalparks Berchtesgaden gekauft hat.
    »Eigentlich schade«, sagt sie,

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