Hirschgulasch
es noch, bis wir oben sind?«, hustet und schleppt sich dann
weiter. Ihr T-Shirt ist durchgeschwitzt, Gesicht und Haare sind nass.
Irgendwann sagt Bertl zu ihr: »Komm, gib mir deinen Rucksack«, und
von da an geht es etwas schneller.
Der Pfad führt steil nach oben, Schmelzwasser fließt in kleinen
Rinnsalen mal über den Weg, mal daran vorbei nach unten. Fahles, von der
Schneelast des Winters platt gedrücktes Gras hängt in einzelnen Büscheln auf
den Bergpfad, aus dem immer wieder kleine Felskuppen wachsen. Ohne Kletterei
geht es bergauf, einer hinter dem anderen zieht die Karawane hinauf. Den Kopf
gesenkt, das Blickfeld auf den nächsten Schritt gerichtet. Schmatzende
Geräusche begleiten die Tritte, wenn das tiefe Profil der schweren Bergstiefel
sein Muster in das Erdreich drückt.
Wenn die Zunge eines Schneerests bis in den Weg hineinreicht, vermischt
sich kristalliner weißlicher Firn mit dem schmutzigen Braun der aufgeweichten
Erde zu marmorierten Profilskulpturen, die nur darauf warten, dass sie vom
nächsten Stiefel niedergetreten und umgeformt werden und neu gestaltet wieder
entstehen. Was unten im Tal als warmes Frühlingslüftchen weht, zieht hier oben
als kalter Wind durch die Kleider und ist bis in die Knochen zu spüren, wenn
man stehen bleibt. Beim Steigen aber wird jedem so warm, dass der Schweiß sich
auf der Stirn sammelt und zu Boden tropft.
Die Felsabbrüche sind genügend weit entfernt, sodass nicht einmal
Marjana sie als Bedrohung wahrnimmt und tapfer mit den anderen mithält und
einen Schritt vor den anderen setzt. Nach einer guten Stunde ist das Jagerkreuz
erreicht, und es gibt eine kleine Verschnaufpause. Der Weg zum Gipfel ist nun
nicht mehr schlimm, weder steil noch schwierig. Es geht auf der Flanke des
Berges dahin, die Dreihundertsechzig-Grad-Aussicht ist phantastisch, der Himmel
wolkenlos blau.
Zweitausenddreihunderteinundvierzig Meter sind mit dem Gipfelkreuz
erreicht, und die Wanderer sind stolz auf sich. Die Freude, den Gipfelaufstieg
geschafft zu haben, erfüllt jeden, das Tal ist ganz weit unten, für ein paar
Stunden ist man in einer anderen Welt.
Beim Übergang vom Hohen Brett zum Göll gibt es eine kleine
Kletterei, fünf Meter senkrecht, nicht spektakulär, die Stelle ist sogar mit
einem Seil gesichert. Einzig am Ende wartet eine Stelle mit einem nur dreißig
Zentimeter breiten Absatz, den man überqueren muss. Würde man ihn verfehlen,
ginge es zweihundert Meter im freien Fall bergab, trotzdem ist es der
einfachste Weg hinüber zum Göll.
Als Marjana die Stelle sieht, verliert sie ihren Gleichmut in
Sekundenschnelle. Sie setzt sich an einer trockenen Stelle auf den Boden und
bockt: »Ohne mich! Das hat mir niemand gesagt, dass wir hier direkt am Felsen,
nein, hier gehe ich nicht weiter. Macht, was ihr wollt, aber ich rühre mich
hier nicht weg.«
»Komm, das ist doch nichts«, sagt Wiktor. »Das dauert eine Minute,
dann sind wir hier durch.«
»Ist mir egal, wie lange das dauert. Für mich dauert das gar nicht,
ich geh hier nämlich nicht weiter.«
»Und wie willst du dann in die Höhle kommen?«, fragt Luba.
»Vielleicht morgen, von der anderen Seite. Ich weiß es noch nicht.«
»Von der anderen Seite ist es weiter«, sagt der Bergführer, »und
auch nicht leichter. Jetzt komm her, Madl, das schaffen wir schon.«
Er holt den Klettergurt aus ihrem Rucksack und legt ihn Marjana an.
Und sie bewegt sich. Die paar Schritte bis zum senkrechten Abgrund geht sie in
halb gebückter Haltung und hält sich mit verkrampften Fingern am Sicherungsseil
fest. Bertl zeigt ihr, wie sie die Rinne im Fels nutzen kann, um ohne
Schwierigkeiten nach unten zu steigen, das Gesicht zum Fels gewandt und mit den
Händen in festen Griffen gesichert.
»So, und jetzt du, das schaffst du leicht«, feuert Bertl sie an.
»Jetzt häng dich erst mal ein«, jammert Marjana, »sonst hab ich ja
nichts davon, dass du mich sicherst, wenn du genau wie ich den Berg
hinunterpurzelst.«
Der Ausblick hinunter ins frühlingsgrüne, tief unter ihnen liegende
Bluntautal entgeht ihr völlig, aber sie fühlt nach dem Durchstieg der
Schlüsselstelle zum ersten Mal das erhebende Gefühl, eine Passage gemeistert zu
haben, die eigentlich unüberwindbar schien.
Die nächste Stunde marschiert Marjana mit mehr Körperspannung, mehr
Sicherheit und vor allem mit mehr Lust an der Anstrengung. Obwohl der Pfad über
Stein- und Geröllhalden führt, ist er leicht zu erkennen, denn die vielen Wanderer
vor ihnen haben
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