Hirschkuss
der Braunbär Samba!«
Anne und Kastner tauschten trotz der angespannten Situation belustigte Blicke, aber Cindy Mattusek schüttelte trotzig den Kopf. Nonnenmacher erschlug eine Fliege.
»Kommt mal mit raus«, forderte Anne die Kollegen während einer kurzen Pause auf, in der alle außer der Frau des toten Holzinvestors Hilfe suchend aus dem Fenster gestarrt hatten. Auf dem Flur vor dem Besprechungszimmer sagte die Polizistin: »Wir kommen so nicht weiter. Die wird nichts zugeben. Wir müssen den Druck erhöhen. Lasst uns den DNA -Abgleich machen.«
»Und was, wenn sie wirklich noch nie in Bayern war?«, brachte Kastner hervor. »Wenn die Nachbarin einfach bloß spinnt … oder …«, er dachte nach, »… oder eine völlig andere Frau gesehen hat?«
»Das ist es«, donnerte Nonnenmacher. »Stichwort: Persönliche Gegenüberstellung!«
Wenig später saßen im Besprechungszimmer drei in fesche Dirndl gekleidete Frauen zwischen zwanzig und dreißig. Nur Cindy Mattusek trug immer noch ihren rosafarbenen Minirock und das Trägertop. Anne hatte diese Art der Gegenüberstellung kritisiert, schließlich war angesichts der Kleidung der Damen allzu offensichtlich, wer hier verdächtig war. Aber Nonnenmacher hatte nicht mit sich reden lassen. Die drei Vergleichsdamen im Dirndl hatte der Leiter der kleinen Polizeidienststelle über seine Kontakte zum Katholischen Frauenbund der westlichen Seegemeinde in aller Eile herbeitelefoniert.
Doch die Gegenüberstellung erbrachte nicht das erwartete Ergebnis. Denn obwohl Cindy Mattusek mit ihrem rosafarbenen Kleid hervorstach wie eine Python im Bergwald, erklärte die Nachbarin vom Ackerberg, nachdem sie das Besprechungszimmer verlassen hatte: »Von denen ist keine die Frau von Herrn Mattusek. Da bin ich mir ganz sicher. Die Frau von diesem Herrn Mattusek ist viel jünger.«
»Bitte was? Hä? Was sagen Sie?«, entfuhr es den verschiedenen Mündern der Ermittler. »Noch jünger?«, fragte Anne ungläubig.
»Ja, ja«, versicherte die Dame. »Die Frau Mattusek ist eher so eine … so eine … wie sagt man das? Ja, Sie wissen schon, so eine Lolita halt, eine Mädchenfrau. »Die ist fast noch ein Kind.«
»Ein Kind! Ich glaub, ich spinn!« Nonnenmacher war außer sich. »Der Mattusek! So ein perverses Dreckschwein!« Er starrte die Kollegen an wie eine gestochene Sau. »Ich hab’s euch gleich gesagt: ein Triebtäter! Der Mattusek ist ein Triebtäter!«
»Dann hat die Cindy Mattusek also doch die Wahrheit gesagt«, staunte Kastner.»Aber wer ist dann die Mädchenfrau, die bei Mattusek ein und aus ging?«
Anne war baff: Es gab also noch eine Unbekannte, für die der Holzinvestor die Stilettos und den Schwesternkittel, die sie in seinem Haus gefunden hatten, beschafft hatte. Doch wer sollte diese ominöse Person sein? Und war es am Ende sie, die den merkwürdigen Tod des wohlhabenden Mannes herbeigeführt hatte?
Zurück im Besprechungszimmer, entließen die Ermittler die drei Damen vom Frauenbund und eröffneten Cindy Mattusek, dass ihr verstorbener Mann wohl regelmäßig Kontakt zu einer unbekannten Frau gehabt habe. Auf diese Information reagierte die Gattin des Toten völlig unbewegt, geradezu kaltherzig. Anne wurde aus dem Verhalten der jungen Witwe nicht schlau. Dann sagte sie: »Sie können gehen.«
»Tolle Aktion«, meinte Cindy Mattusek verächtlich. »Unschuldige Leute verdächtigen! Und wer Wolfgang um die Ecke gebracht hat, wissen Sie immer noch nicht.«
»Es tut mir leid«, erwiderte Anne. Sie fühlte sich plötzlich verspannt. Sie wollte nach Hause.
Jesus, mit dem Kreuz beladen,
wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt,
gestürzt unter der Last des Kreuzes.
Katholisches Gebet
ZEHN
Montag
Wie die meisten Menschen mochte Anne Beerdigungen nicht. Doch seit dem gewaltsamen Tod ihres Vaters, der im Gerichtssaal von einem Mann erschossen worden war, den er in seiner Funktion als Richter kurz zuvor verurteilt hatte, wusste Anne, dass Beerdigungen eine wichtige Funktion in der Gesellschaft erfüllten: Sie ermöglichten es allen, die den Verstorbenen gekannt hatten, sich zu verabschieden und sich ganz persönlich von dessen Tod zu überzeugen.
Für sich selbst hatte Anne festgestellt, dass es ihr leichter fiel, mit dem Verlust eines Menschen umzugehen, wenn sie seine Beerdigung besucht hatte. Doch deshalb war sie nicht zur Beerdigung des Selbstmörders Josef Hannawald gekommen. Sie wusste selbst nicht genau, weshalb sie beschlossen hatte, dem traurigen Anlass
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