Hirschkuss
wir noch gar nichts wissen und die unter Umständen ein ziemlich bedeutendes Motiv haben könnte, Mattusek verschwinden zu lassen!« Anne war jetzt in Fahrt. »Ich denke, wir checken mal die Nachbarn durch. Seppi, kommst du mit?«
»Frau Loop«, rief ihr der rotäugige Dienststellenleiter noch hinterher, »jetzt machen’S mir nicht die ganze Gegend rebellisch! Hier am Ackerberg, da wohnen fei die feinen Leut’. Wenn Sie jetzt anfangen, in jeder Regentonne herumzuschnüffeln, da stehen die morgen mit dem Bürgermeister auf der Matte! Ich kenne diese Bonzenklientel. Das wird ungemütlich, das prophezei ich Ihnen!«
Doch diesen sicherlich gut gemeinten Rat hörte Anne schon gar nicht mehr. Und wenn sie ihn gehört hätte, dann hätte sie ohnehin darauf gepfiffen.
Ein nebulöses Gefühl sagte ihr, dass sie kurz vor dem Durchbruch standen, was die Hintergründe von Mattuseks Tod anging. Und tatsächlich: Gleich beim Nachbarhaus hatte Anne Glück. Denn die gepflegte Dame, die ihr die Tür öffnete, wusste einiges über den Chef der Bio Wood World zu erzählen. Je präziser Anne fragte, umso präziser wurden die Antworten. Immer mehr beschlich sie das Gefühl, dass die etwa siebzigjährige Frau mit den langen grauen Haaren den Waldinvestor förmlich observiert hatte.
»Ganz unter uns: Ich habe mich immer gewundert, warum sich der Mann dieses teure Haus mietet, wo er doch so gut wie nie da ist! Ich habe mir gedacht, dass da doch etwas nicht stimmen kann.« Sie senkte ihre Stimme noch weiter, sodass sie beinahe flüsterte: »Und Besuch hatte er ja auch keinen – außer von seiner Frau. Für was braucht da jemand so ein großes Haus?«
»Seine Frau?«, platzten Anne und Kastner synchron heraus.
»Ja«, flüsterte die Nachbarin. »Seine junge Frau war genau vier Mal da. Ich habe mitgezählt. Und einen eigenen Schlüssel hatte sie auch.«
Anne konnte es nicht fassen. Empört wandte sie sich Kastner zu: »Seppi, hörst du das? Die hat mich angelogen – knallhart!« Die Polizistin schüttelte den Kopf. »So ein Luder! Die war doch da – und zu mir sagt sie, sie sei noch nie in Bayern gewesen. Das ist ja wohl der Abschuss!«
Obwohl Nonnenmacher sich an diesem Tag nicht gerade auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit befand, traf er, nachdem ihn die Kollegen von der Erkenntnis unterrichtet hatten, dass es sich bei Cindy Mattusek vermutlich um eine dreiste Lügnerin handelte, eine ebenso selbstlose wie mutige Entscheidung: Er rief den verhassten Kripokollegen Sebastian Schönwetter an und bat ihn darum, zu veranlassen, dass Cindy Mattusek festgenommen und zur Vernehmung nach Bayern gebracht wurde. Noch am selben Tag bekam die Witwe des verstorbenen Holzinvestors Besuch von den Beamten der nordrhein-westfälischen Polizei und saß am Sonntag um zehn Uhr im Besprechungsraum der Inspektion an dem See inmitten von Bergen.
Sonntag
»Nein, verdammte Scheiße, ich war wirklich noch nie in Bayern! Ich weiß gar nicht, wie ihr da jetzt plötzlich draufkommt!« Cindy Mattusek hatte in einem superknappen, rosafarbenen Minirock und einem weißen Trägertop am Tisch des Vernehmungszimmers Platz genommen. Direkt gegenüber war Anne platziert, rechts von ihr rührte Nonnenmacher – heute deutlich fitter als noch am Vortag – ungeduldig in seinem Kaffee herum. An Annes linker Seite saß Kastner mit einer Speziflasche vor sich.
»Frau Mattusek«, erhob Nonnenmacher bereits zum dritten Mal das Wort. »Sie lügen sich um Kopf und Kragen! Je schneller Sie alles gestehen, umso schneller sind mir hier fertig, und ich kann zum Frühschoppen, zefix!«
»Ich. War. Noch. Nie. In. Bayern! Ich bin heute das erste Mal hier – dank Ihnen! Und es gefällt mir nicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen!«
Anne schüttelte den Kopf. »Frau Mattusek, es ist für uns überhaupt kein Problem, Sie per DNA -Beweis zu überführen.«
»Dann machen Sie doch Ihren DNA -Kack! Dann werden Sie schon sehen, dass ich nicht da war, verfickte Scheiße.« Die junge Frau dachte einen Augenblick nach und sagte dann ruhiger und konzentrierter: »Wobei – falls Sie Spuren von mir finden sollten, können die natürlich auch genauso gut von irgendwem manipuliert worden sein.«
»Na, na, na, mit so einem Schmarrn fangen mir jetzt gar nicht erst an!«, rief Nonnenmacher und schlug so fest auf den Tisch, dass seine Kaffeetasse beinahe umkippte. »Gestehen Sie! Jetzt! Sofort! Sonst …«, der Inspektionsleiter suchte nach dem richtigen Ausdruck, »… sonst tanzt
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