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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Schreibtisch Platz, und Kastner lehnte sich ans Fenster.
    »Vielen Dank, Frau Kramermayer, dass Sie sich die Zeit nehmen«, begann Anne die Vernehmung, nachdem sich alle gesetzt hatten.
    »Meinen Sie denn, Hanna ist passiert etwas Schlimmes?«
    Anne fand den englischen Akzent der Frau süß. »Das können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen«, antwortete sie.
    »Äh, Frau Kramermayer?«, fiel Kastner ungefragt in das Gespräch ein. »Sie haben ja so einen ganz leichten, also einen ganz, ganz, gaanz leichten englischen Akzent. Wie kommen Sie da zu diesem Namen? Ich meine, Kramermayer – das ist doch ein ganz normaler bayerischer Name!« Den letzten Teil seines Satzes hatte Kastner beinahe empört ausgestoßen. Als sei es eine Unverschämtheit, mit Akzent zu sprechen, wenn man einen »ganz normalen« bayerischen Namen trägt.
    »Ik bin Engländerin, aber meine Mann ist Bayer«, erklärte die Frau, die Anne auf Mitte vierzig schätzte, lächelnd. »Ik finde das ja auch witzig, dass ausgerechnet ik so heiße, aber es war die Liebe, die mik in dieses Land verschlagte.«
    »Ja, das hört man«, lachte Kastner, »also, weil Ihr Deutsch, das ist … also, das ist schon sehr …« Etwas hilflos suchte er nach dem richtigen Wort: »… sehr niedlich.« Jetzt wurde er auch noch rot.
    »Dass Sie das finden, makes me happy.«
    Anne stellte irritiert fest, dass Jane Kramermayer ihren Kollegen Seppi heftigst anflirtete. »Na, dann jetzt aber mal zur Sache!«, unterbrach sie das Geplänkel. »Wann haben Sie Frau Nikopolidou zum letzten Mal gesehen?«
    »Am Freitag, kurz bevor sie ins Wellnessweekend gefahren ist.«
    »Sie wussten, dass Frau Nikopolidou ein solches Wochenende plante?«
    »Ja, das hat sie mir erzählt. Sie hat sik total darauf gefreut.« Jane Kramermayer lächelte Kastner mit klimpernden Wimpern an. Anne sah kurz zu ihrem Kollegen hinüber, doch der war bereits geistig abwesend.
    »Was hat Frau Nikopolidou noch über ihre Pläne an diesem Wochenende erzählt?«
    »Nikts weiter. Sie war k.   o. und freute sich auf Whirlpool und Sauna und so.«
    Anne warf einen weiteren Blick zu Kastner. Es war unglaublich, wie dämlich Seppi diese Engländerin anhimmelte! Der Polizeihauptmeisterin fiel es schwer, sich zu beherrschen. »Hatte Frau Nikopolidou hier in der Bank Feinde oder … irgendwelche Probleme?«, wandte sie sich erneut an Jane Kramermayer.
    Diese wurde nun ernster: »So gut kannte ich Hanna nikt.« Sie zögerte. »Ik meine, wir waren Kollegen. Aber was in ihrem Privatleben war, das weiß ik nikt.«
    »Uns geht es nicht nur um Frau Nikopolidous Privatleben«, erklärte Anne. »Interessant wäre auch zu wissen, ob sie gemobbt wurde, hier in der Bank. Ob es Streitigkeiten gab. Ob die Vorgesetzten mit ihr zufrieden waren, ob es Ärger gab – solche Dinge können für uns wichtig sein.«
    Weil Jane Kramermayer nicht reagierte, sondern seltsam ins Leere schaute, zog Anne das Foto, das sie in der Brieftasche der Vermissten gefunden hatten, hervor und fragte: »Kennen Sie den Mann, den Frau Nikopolidou hier küsst?«
    Die Bankerin betrachtete kurz den blonden Mann auf dem Foto und sagte dann völlig überrascht: »Ja, das ist Christian. Christian Reitzle. Er arbeitet in eine andere Abteilung. Aber ik wusste nikt, dass er … und … Hanna.« Sie sah Anne und Kastner ratlos an. »Hatten die was?«
    »Das würden wir gerne von Ihnen wissen, Frau Kramermayer.«
    »Ik sehe das zum ersten Mal. Christian und Hanna? Ik meine, der ist doch jünger als sie.« Sie schüttelte den Kopf. »Wo ist die Foto entstanden?«
    » Das Foto«, verbesserte Kastner sie, seine Stimme war liebevoll.
    »Sie wissen also nichts von dieser Verbindung?«
    »Nein, überhaupt nikt.«
    Anne sah Jane Kramermayer kritisch an. Sie war sich nicht sicher, ob die Kollegin der Verschwundenen die Wahrheit sagte.
    »Wo finden wir Herrn Reitzle?«
    »Vielleicht nehmen Sie auch mit mir vorlieb?« Mit diesen Worten trat ein über zwei Meter großer, mit dunklem Anzug und dezenter Krawatte gekleideter Mann in Hanna Nikopolidous Büro. »Jane, Sie können, glaube ich, gehen«, sagte er mit einer zur Tür deutenden Kopfbewegung. Die Bankmitarbeiterin verließ den Raum. »Grüße Sie, Heinzelsperger mein Name, ich bin Hannas Vorgesetzter.« Der Name gab Kastner Anlass zu einem debilen Kichern. Heinzelsperger reichte ungerührt erst Anne, dann Kastner die Hand.
    Im folgenden Gespräch erläuterte der Manager, dessen Haar leicht angegraut war – er mochte

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