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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Ende vierzig sein –, dass Hanna Nikopolidou im Griechenlandgeschäft eingesetzt wurde. »Ein Bereich, in dem es seit der Schuldenkrise drunter und drüber geht. Aber Hanna hatte – also hat – den Laden im Griff.«
    »Sind Sie mit Frau Nikopolidou als Mitarbeiterin zufrieden?«, fragte Kastner.
    »Absolut. Sie ist eine Topkraft. Sie hat den ihr anvertrauten Geschäftsbereich in den letzten Monaten souverän gemanagt. Und das in einem superschwierigen Umfeld. Ich meine, auch wir hatten hier Verluste, am Ende des Tages. Da würden Sie mit den Ohren schlackern! Aber Hanna ist da gut durchgekommen. Die hatte ein Händchen dafür, giftige Investments im richtigen Moment abzustoßen.« Er seufzte kurz. »Oh Gott, ich spreche schon von ihr, als wäre sie tot. Ist das nicht sonderbar?«
    »Ja, das ist sonderbar«, erwiderte Kastner streng. Er stand noch immer am Fenster und fixierte den einen Tick zu überlegen wirkenden Chef mit festem Blick.
    »Gab es denn irgendein Motiv, das Frau Nikopolidou in einen Selbstmord hätte treiben können?«, übernahm jetzt wieder Anne.
    »Oder gab es jemanden hier in der Bank, der mit ihr nicht klarkam?«, schob Kastner hastig hinterher.
    Heinzelsperger verneinte beide Fragen. Auch wies er mit deutlichen Worten von sich, Hanna Nikopolidou oder irgendjemand sonst in seiner Abteilung könne mit kriminellen Steuersparmodellen oder Geldwäscheaktivitäten befasst gewesen sein. Er versicherte, dass es in Hannas Geschäftsbereich zu keinerlei Auffälligkeiten oder Unregelmäßigkeiten gekommen sei, und insbesondere schloss er aus, dass Hanna Gelder veruntreut haben könnte. »Das wäre unseren Controllern oder der Compliance-Abteilung aufgefallen.«
    Auch das weitere Gespräch brachte nicht die Andeutung einer Spur. Wie seine Kollegin Jane Kramermayer behauptete der Banker, nichts von einer Liebschaft zwischen Christian Reitzle und Nikopolidou gewusst zu haben.
    Wenig später saß ein mittelgroßer blonder Mann mit Gelfrisur im Büro und lächelte Anne an.
    »Warum lächeln Sie?«, fragte die Polizistin.
    Diese Frage irritierte Christian Reitzle, der ein hellblaues Hemd und eine dunkle Anzughose trug. »Wieso?«, fragte er unsicher, und das Lachen wich aus seinem Gesicht.
    »Wissen Sie, warum wir mit Ihnen sprechen wollen?«
    »Nö?« Seine Antwort klang wie eine Frage.
    »Es geht um Hanna Nikopolidou«, erklärte Kastner.
    »Ja? Und?« Der Name der Frau, die er irgendwann geküsst haben musste, schien keine größeren Gefühlswallungen in ihm auszulösen.
    »Hanna Nikopolidou wird vermisst.« Anne versuchte jede Bewegung und jede Mimikveränderung des Befragten zu registrieren. »Wissen Sie, wo sie sein könnte?«
    »Wieso fragen Sie das mich?«
    »Deshalb«, sagte Anne und hielt Reitzle das Foto hin.
    Der junge Banker zuckte mit den Schultern. »Ach so, deswegen … Das war nur so … also, das war nur eine kurze Sache.«
    »Eine kurze Sache?« Kastners Stimme war jetzt leicht heiser und hatte einen bissigen Tonfall. »Was ist für Sie eine ›kurze Sache‹?«
    »Drei Wochen? Dreimal Sex? Eine kleine Affäre?« Reitzle sah die beiden unschuldig an.
    »Sie antworten ständig in Fragen«, stellte Anne fest. »Wann waren diese drei Wochen?«
    »Und der dreifache Sex?«, schob Kastner mit dem Tonfall eines Inquisitors hinterher.
    »Das dürfte so Anfang letzten Jahres gewesen sein. Frühlingsgefühle und so …« Selbstgefällig zog Reitzle einen Mundwinkel nach oben.
    »Pah, Frühlingsgefühle! Warum haben Sie sich von Frau Nikopolidou getrennt?«, fragte Kastner.
    »Getrennt? Wir waren nie zusammen!« Jetzt schien Reitzle empört zu sein.
    »Aber drei Wochen sind drei Wochen!«, rief Kastner aus. »Und Sie haben dreimal mit Frau Nikopolidou Sex gehabt! Das ist doch nicht irgendwas! Das ist dann doch eine Beziehung!«
    »Sie sind nicht aus der Stadt, oder?«, erwiderte der junge Banker. Seine Stimme war jetzt wieder ruhig, beinahe etwas verächtlich.
    »Nein, sondern von einem Bergsee«, antwortete Kastner trotzig.
    »Dann lassen Sie mich das mal so erklären: Wir arbeiten hier siebzig, achtzig, neunzig Stunden die Woche. Wir schieben Woche für Woche Millionen durch die Landschaft. Wir hatten hier schon vor der Krise Stress bis zum Abwinken. Aber jetzt ist das so wie jeden Tag Atomtest, Tsunami und Mondlandung zugleich.« Er fuhr sich mit einer auf Anne eitel wirkenden Handbewegung durch das leicht gewellte Haar. »So. Und wenn man da dann mal aus dem Büro rauskommt, dann lässt man

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