Hirschkuss
die angeflirtet, dass die Lichter ausgehen!«
Anne sah Kastner erwartungsvoll an. Er wurde rot. Aber er erwiderte nichts, sondern schaute hoch konzentriert durch die Windschutzscheibe auf die Fahrbahn. Anne schmunzelte.
Die nächste Person, die sich Anne und Kastner vorknöpften, war Katja Engels. Die Freundin von Hanna Nikopolidou war eine beeindruckende Person. Obwohl ihre Figur ein wenig pummelig war, fand Anne sie attraktiv. Ihr Gesicht mit den großen Augen, den vollen, elegant geschwungenen Lippen und der reinen Haut war von puppenhafter Hübschheit. Katja Engels empfing die Ermittler in ihrer zentral in München gelegenen Wohnung und bat sie, an einem schönen, schon etwas älteren Holztisch Platz zu nehmen.
»Frau Engels, ich habe es Ihnen ja bereits am Telefon gesagt, die Frau Nikopolidou wird seit Samstag vermisst. Und zwar ist sie aus dem Hotel verschwunden, in dem sie mit Ihnen ein Wellnesswochenende verbringen wollte. Warum sind Sie nicht mitgefahren?« Kastner sah die Freundin der Vermissten gespannt an.
»Ich bin krank geworden. Eine richtig fiese Darmgrippe. Deswegen bin ich auch nicht in der Arbeit. Wobei es mir heute schon etwas besser geht.« Katja Engels trug einen rosafarbenen Freizeitanzug, was ihre Puppenhaftigkeit noch betonte.
»Wann haben Sie zuletzt mit Frau Nikopolidou gesprochen?« Anne beobachtete die Befragte aufmerksam.
»Am Freitagmittag. Da war klar, dass ich unmöglich mitkann, weil es mich so durchputzt.« Anne glaubte eine Unsicherheit in Katja Engels’ Blick festzustellen. »Da habe ich Hanna angerufen und Bescheid gegeben.«
»Waren Sie wegen Ihrer Darmgrippe beim Arzt? Gibt es ein Attest?«
»Nein.« Katja Engels wich Annes Blick aus. »Ich gehe nie zum Arzt.«
»Warum nicht?«
»Weil man ewig darauf warten muss, dass man dann zwei Minuten im Sprechzimmer sitzt, und am Ende verschreiben sie einem doch nur das, was man sich auch selber in der Apotheke besorgen kann.«
»Wirkte Hanna bei diesem Telefonat irgendwie komisch auf Sie?« Anne nahm ein Schluck aus dem Glas mit stillem Wasser, das ihnen Katja Engels angeboten hatte.
»Sie war enttäuscht. Wir hatten das Wellnesswochenende ja auch schon ewig lange geplant. Dass ich dann ausgerechnet jetzt krank werde …«
»Ist es für Sie denkbar, dass Frau Nikopolidou sich das Leben genommen hat?«
»Nein!« Die Antwort kam augenblicklich. War dies nun ein Zeichen besonderer Glaubwürdigkeit oder gerade des Gegenteils? Anne war sich nicht sicher.
»Was macht Sie so gewiss?« Die Polizistin studierte die Gesichtszüge der Befragten. Die Augenbrauen glichen einem mit feiner Hand gezeichneten Strich, die Lippen waren mit braunrotem Lippenstift geschminkt.
Ganz ruhig antwortete die Mittdreißigerin: »Hanna war total lebenslustig und hätte überhaupt keinen Grund, sich umzubringen.«
»Und was ist dann Ihrer Ansicht nach mit ihr passiert?« Obwohl Kastner sich Mühe gab, nicht zu laut und schnell zu sprechen, klang seine Stimme auch jetzt wieder abgehackt und gepresst.
»Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Hanna ist superbeliebt, auch in der Arbeit, soviel ich weiß …«
»Hatte sie einen Freund?«
»Nein, schon lange nicht mehr. Genau wie ich arbeitet Hanna wahnsinnig viel. Für einen Freund hätte sie gar keine Zeit.«
»Was arbeiten Sie eigentlich?«, fasste Kastner schnell nach.
»Ich bin ebenfalls Investmentbankerin – übrigens bei Hannas Konkurrenz.« Sie lachte und schlug mädchenhaft die Augen auf. »Zurzeit sind wir Investmentbanker leider nicht so beliebt, aber … mir macht der Job Spaß. Und Hanna sitzt dazu ja noch in einer superinteressanten Unit. Diese ganze Griechenlandrettung ist eine Riesennummer. Hanna darf da an den richtig dicken Schrauben drehen.«
»Kennen Sie Christian Reitzle?«, fragte Kastner.
»Ist das der Kollege, mit dem Hanna was hatte, letztes Jahr?« Die Ermittler zuckten die Schultern und schauten lauernd. »Hanna hat mir von ihm erzählt. Ich glaube, die ganze Geschichte war enttäuschend für sie.«
»Inwiefern?«, fragte Anne vorsichtig und nahm noch einen Schluck von ihrem Wasser.
»Soweit ich weiß, hatten die ein paarmal Sex, und Hanna hatte sich vorgenommen, sich nicht zu verlieben, aber letztlich lässt sich das ja nicht programmieren, wir sind ja keine Roboter, nicht wahr?«
Der strahlende Blick ihrer großen braunen Augen erzeugte in Kastner ein Gefühl der Wärme. Er war für einen Moment gebannt.
Und so war es Anne, die das Thema wechselte: »Hat Hanna
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