Hirschkuss
Jagd, das ist mein Revier. Und wenn du meinst, dass du unseren natürlich gewachsenen Wald mit deinem Optimierungsscheißdreck ausbeuten kannst, dann brennst dich fei! Da bist im falschen Geschäft. Waldwirtschaft ist eine Sache von Generationen.«
»Sie können mich mal, Sie Hinterwäldler«, entgegnete Mattusek verächtlich. »Ich habe in dieses Tal viel Geld investiert. Und unsere Aktionäre erwarten, dass es vermehrt wird.«
»Ich sag es dir noch einmal«, schrie der Jäger nun. »Mir sind hier nicht an der Wall Street. Du bist hier falsch.« Er holte Luft. »Und das prophezei ich dir: Du wirst dir hier sauber eine blutige Nasen holen. Kein Mensch braucht hier solche dahergelaufenen Geldsäcke wie dich. Du Bonzensau, du dreckate!« Der Hund saß noch immer, fiel jetzt aber mit lautem Gebell in das Geschrei seines Herrchens ein. »Wir haben im Tal schon genug Lumpen. Da hat so einer wie du gerade noch gefehlt.« Er holte kurz Luft. »Ich werde hier kein einziges Tier mehr schießen, als wie ich es für richtig halte. Die Wildmenge ist so, wie sie ist, und die bleibt auch so, du neureicher Pinkel.« Er wandte sich dem bellenden Hund zu: »Gib Ruh, Seehofer«, drehte sich dann noch einmal Mattusek zu und zischte: »Solche verlogenen Rohkostapostel wie dich brauchen wir hier nicht.«
Auf diese Beschimpfung antwortete Mattusek so leise, dass Anne es fast nicht verstehen konnte: »Passen Sie auf, Sie ungehobelter Löffel. Hier wird abgeholzt. Und drüben auf der Bernauer Alm auch. Und dann werden da Biopappeln gepflanzt, weil die wachsen wie die Feuerwehr. Und dann komme ich auf meine Holzquote, darauf können Sie Gift nehmen. Und wenn Sie nicht verhindern, dass das Wild mir alles, was ich hier investiere, zusammenfrisst, dann werde ich meine ganz eigenen Wege und Mittel finden. Ich habe hier nämlich eine Leistung zu erbringen. Wenn wir die Holzmenge, die im Businessplan steht, nicht erreichen, dann brennt bei Bio Wood World die Hütte. Und darauf habe ich – das werden Sie verstehen – überhaupt keine Lust. Es geht hier nicht um Peanuts, mein Freund, es geht hier um Millionen. Und da müssen auch Sie mit Ihren …«, er suchte nach dem passenden Wort, »… romantischen Vorstellungen von Waldwirtschaft einen Schritt zurücktreten. Für eine laxe Jagd ist hier kein Platz.«
Mattusek hatte seinen Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da hatte der Jäger die zwei Schritte, die zwischen ihnen lagen, schon überbrückt und den Düsseldorfer mit beiden Händen geschubst. Sofort verfiel der Hund erneut in lautes Gebell. Der verdutzte Mattusek strauchelte, taumelte einige Schritte talabwärts, fiel aber nicht. Schnell richtete er sich wieder zu voller Größe auf und kam mit entschlossener Wucht auf den Jäger zu, um jenen seinerseits zu schubsen. Doch der hatte mittlerweile sein Jagdmesser gezogen und hielt es dem angreifenden Waldinvestor drohend entgegen.
Anne war der Ernst der Lage sofort klar. »Halt, legen Sie sofort das Messer weg! Ich habe alles gesehen! Und Ruhe jetzt!«, schrie die Polizistin, während sie hinter dem Baum versteckt blieb.
Für einige Momente verfiel der Wald in Totenstille. Anne konnte den Jäger und den Waldinvestor nicht sehen, aber ihr Herz klopfte so heftig, dass sie fürchtete, man könnte es hören. Sie rührte sich nicht. Als Anne ein Jucken an den Fußgelenken spürte, sah sie, dass ein Trupp Waldameisen über ihre Turnschuhe einen Weg nach oben gefunden hatte. Gleich würden die fleißigen Tierchen ihr Knie erreicht haben.
»Gib Ruh’, Seehofer! Wer ist da?« Anne beschloss zu schweigen. »Hallo, ist da wer?« Dann hörte Anne ein Rascheln, und ihr war klar, dass einer der Männer, oder sogar beide, in ihre Richtung den Wald hinaufstiegen. Sie murmelten irgendetwas, was die Ermittlerin nicht verstand. Eigentlich hatte Anne nichts zu verbergen und genau genommen auch nichts zu befürchten: Was sollten sie ihr schon tun wollen? Aber trotzdem verließ sie plötzlich ihr Versteck und rannte wie von Sinnen den Hang hinauf – so schnell wie möglich weg von den beiden Männern. Keuchend erreichte sie den Waldweg, dem sie, so gut es ihre Kondition zuließ, eilig weiter nach oben folgte. Erst nach mehreren Minuten verfiel die Polizistin wieder in ein ruhigeres Lauftempo und wunderte sich ein wenig über sich selbst: Warum war sie weggerannt?
Später, in der Dienststelle, berichtete Anne Sepp Kastner von ihrem Erlebnis.
»Und der hat wirklich den Hirschfänger gezogen?«, fragte
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