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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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gegen das Bierglas. »Aber ich sag euch was: Viele Jäger sehen das anders. Die wollen Trophäen sehen! Vor allem die ganzen Großkopferten, die wo sich so eine Jagd zur Gaudi pachten. Eine Hochgebirgsjagd für zweihunderttausend Euro im Jahr, das muss man sich einmal vorstellen! Zweihunderttausend!« Er schüttelte den Kopf und wandte sich Lisa zu. »Weißt du, Trophäen, das sind Geweihe und so was.«
    Anne war klar, dass Singer erneut versuchte, vom Thema abzulenken. Aber anstatt weiter darauf zu beharren, fragte sie unvermittelt: »Gibt es eigentlich noch Wilderei?«
    Blasius Singer zuckte kaum merklich zusammen, fasste sich dann aber wieder und sagte leise: »Interessant, dass Sie das fragen. Ich bin nämlich tatsächlich einem Wildschützen auf der Spur.« Plötzlich war es mucksmäuschenstill am Tisch. Johann und Anne hatten aufgehört, sich um ihre Weißwürste zu kümmern. Mit gedämpfter Stimme sprach er weiter: »Ich verfolge den Sauhund schon ein paar Wochen. Ich hab ihn auch schon zweimal schießen hören. Aber bis jetzt hab ich ihn jedes Mal verpasst. Neulich, am Hirschberg, da war’s knapp, sauknapp.«
    »Das ist jetzt aber doch ausgemachtes Jägerlatein!«, entfuhr es Johann.
    »Nein, überhaupts nicht!«, fuhr Singer auf.
    »Aber warum sollte denn heute noch jemand wildern? Es hungert doch niemand! Es geht doch allen gut!« Johann und Anne starrten den Jäger an.
    »Wie schon gesagt: Trophäen! Bei den Hirschen geht’s denen um die Geweihe. Und bei den Gämsen geht’s ums Rückenhaar.«
    »Wieso denn Rückenhaar?« Anne studierte die Gesichtszüge des Jägers. Unterhalb seines linken Auges trat eine Narbe hervor, die ihr vorher nicht aufgefallen war.
    »Für die Gamsbärte. Jeder Mann, der was auf sich hält, trägt einen Gamsbart auf dem Jagerhut.«
    »Ja und?«, fragte Anne ungeduldig.
    »Ja und, ja und! Dafür braucht man die Rückenhaare von den Gämsen!« Singer war jetzt regelrecht wütend. »Für einen gescheiten Bart braucht man zehn bis fünfzehn Böcke. Da muss man schon einiges zusammenschießen, bis man das beieinanderhat. Sie müssen sich einmal vorstellen, Frau Loop: Ein gescheiter Gamsbart kostet fünftausend Euro. Da lohnt sich das Wildern doch! Oder was meint’s ihr?« Ohne eine Antwort abzuwarten, erklärte der Jäger, dass er sich sicher sei, dass es im Wald einen Wilderer gebe, der ganz gezielt auf Gämsen gehe. »Mehrmals hab ich Kadaver gefunden, wo noch das komplette Fleisch da war. Nur das Rückenhaar hat gefehlt. Nicht einmal aufgebrochen hat er das Tier. Da war noch alles dran! Ein pfennigguter Gamsrücken wär das gewesen. Und den lässt der liegen, der Haubentaucher!« Singer schlug mit seiner rechten Pranke auf den Tisch, dass die Gläser wackelten. »Und noch etwas: Ich kenne die Hirsche und Rehböcke in meinem Revier. Die werfen jedes Jahr ihr Geweih ab, der Hirsch im März, der Rehbock im November. Das flackt dann irgendwo im Wald herum, also, im Normalfall. Aber ein paarmal ist es mir jetzt schon passiert, dass ein Hirsch plötzlich oben ohne ist, nur das Geweih findet sich einfach nicht. Ich such überall, aber es ist weg! Ich hatsch den ganzen Wald ab, bis zum Gipfel rauf und wieder runter, aber nix. Kein Geweih! Es müsst aber irgendwo herumliegen, weil wegfliegen kann’s ja nicht. Da fragst dich doch …!« Er griff sein Glas und trank drei, vier große Schlucke.
    »Und, was meinen Sie? Wer holt sich die Geweihe?«, fragte Anne gespannt.
    »Ja, was weiß denn ich? Es kann gut sein, dass das dasselbe Bürscherl ist, wo auch auf die Gämsen geht. Dass der nebenher auch noch die Hirsche verfolgt, die bald ihr Geweih verlieren … Und wenn sie es verlieren, dann raubt er sich’s.«
    »Also, rauben, na ja«, relativierte Anne.
    »Nix na ja«, blaffte Singer die Polizistin an.
    »Es ist zumindest ein Diebstahl, der strafrechtlich der Wilderei unterfällt«, bestätigte Johann. »Weißt du, Anne, wenn du ein Geweih im Wald findest, darfst du es nicht mitnehmen. Das steht demjenigen zu, dem der Wald gehört.«
    »Da schau an, der kennt sich aus!«, fuhr Singer den Anwalt scharf an. »Aber eines sag ich euch: Wenn ich das Bürscherl erwisch, dann gnade ihm Gott!«
    Anne sah den Jäger kritisch an.
    »Ich mag meine Wurst nicht mehr, Mama«, jammerte Lisa. Ihr Teller sah aus wie ein Schlachtfeld. Gegessen hatte sie nicht viel.
    »Wenn ich den erwische, dann …« Der Jäger brach seinen Satz ab und nickte nur vielsagend zum Reserl hinüber, die gerade einen der

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