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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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machte beiden Freude. Lisa hatte zur Abwechslung mal gute Pubertätslaune und sang Anne fröhlich Popsongs vor.
    »Love, oh, love, I gotta tell you how I feel about you …«
    Anne musste über die Darbietung ihrer Tochter richtig lachen. Doch als sie an der Station »Verlobungstanne« des Baumerlebnispfads angelangt waren, trübte sich ihre Stimmung wieder. War das Leben blöd? Das Leben war blöd.

Montag

    Am Montagmorgen passte das Wetter zu Annes Laune: Es regnete wieder einmal. Was war nur mit diesem Sommer los? Trotzdem schnürte sich die Polizistin die Laufschuhe und startete in den Wald, in dem Hanna Nikopolidou vor nun schon mehr als einer Woche verschwunden war. Bestand überhaupt noch Hoffnung, dass man sie lebend wiederfinden würde? Mit jedem Tag sank die Wahrscheinlichkeit. Anne hatte sich einigermaßen warm gelaufen, da hörte sie schon Motorsägen. Aus reiner Neugier verließ sie den Weg und joggte in Richtung des Geknatters. Das Laub unter ihren Füßen raschelte. Hin und wieder knackte ein Zweig. Sie hatte die Gruppe noch nicht ganz erreicht, da verstummten die Sägegeräusche. Anne hielt inne und lauschte. Dann schritt sie vorsichtig weiter. Wenig später sah sie durch das Gehölz vier Männer. Es waren die Holzfäller. Sie standen beieinander und unterhielten sich. Anne blickte auf die Uhr. Vermutlich hatten Josef Hannawald, Uli Zernet, Steff Nachtweih und Leonhard Soder mit der Arbeit aufgehört, weil es Zeit für ihre morgendliche Brotzeit war. Das Gespräch wurde lauter. Die Polizeihauptmeisterin blieb erneut stehen. Die Männer stritten. Aber Anne verstand nur einzelne Wörter – »Drecksau«, »Helena«, »kalt«, »Pappeln«, »Idee von einem Wahnsinnigen …«
    Vorsichtig näherte sie sich der Gruppe noch weiter. Just, als sie glaubte, das Wort »Bio Wood World« vernommen zu haben, stieß ein Vogel, der im Geäst der Kiefer direkt über ihr gesessen haben musste, einen sehr lauten Alarmruf aus und startete raketengleich in den Himmel über der kleinen Lichtung, die durch die Arbeit der Holzfäller entstanden war. Sofort stoppte das Gespräch der Männer, und ihre Blicke folgten zunächst dem Vogel, um dann in die Richtung zu blicken, aus der das Tier gekommen war.
    »Heda? Ist da wer?«
    Kurz spielte Anne mit dem Gedanken, nicht zu antworten, aber was würde es bringen? Natürlich interessierte es sie brennend, worüber die Forstarbeiter gestritten hatten. Aber sie war zu weit weg, um wirklich etwas zu verstehen. Also machte sie einige beherzte Schritte und trat aus dem Dickicht heraus in den Regen. »Guten Morgen, ich bin’s mal wieder«, sagte sie lächelnd.
    Die Männer grüßten mit mehreren »Servus« zurück. Steff Nachtweih lächelte sie sogar an. Josef Hannawald mied ihren Blick, und auch die Gesichtsausdrücke der anderen blieben kühl.
    Weil die Männer keine Anstalten machten, das Gespräch zu eröffnen, fragte Anne mit mädchenhafter Unschuld: »Haben Sie gerade gestritten?«
    »Na, wie kommst jetzt da drauf?«, fragte der schwarzbärtige Soder viel zu schnell.
    »Es hat sich nur so angehört«, erwiderte Anne unschuldig.
    Die Männer schauten einander an. Zernet und Hannawald schüttelten den Kopf und wandten sich trotzig ihren Rucksäcken zu. Bald darauf saßen die vier einträchtig auf ihren Baumstämmen und aßen Brote. Anne versuchte noch zweimal, mit den raubeinigen Kerlen ins Gespräch zu kommen, aber irgendwie wollten die heute nicht.
    »Na, dann geh ich mal lieber wieder, bevor ich mich noch erkälte«, sagte sie schließlich, ihre Haare waren vom Regen bereits patschnass.
    »Ich tät Sie schon wärmen«, bot Zernet mit ernster Miene an, woraufhin alle außer Nachtweih lachten. Der fragte: »Magst auch einen Hirschkuss?«, was man nach Zernets Satz durchaus als zweideutig hätte verstehen können, doch so war es nicht gemeint. Nachtweihs Stimme klang freundlich und bemüht. Doch schon prusteten die anderen erneut los.
    Leonhard Soder kalauerte: »Da rührt sich was!«, und Josef Hannawald schob ein »Auffi, obi, rum ums Eck!« hinterher.
    »Nein, danke«, meinte Anne kühl. »Von solchen Hirschen wie euch lasse ich mich sicher nicht küssen.«
    »Ihr seid’s doch Deppen!«, fuhr Nachtweih die anderen drei an. »Sag, Anne, jetzt ohne Spaß: Magst nicht noch einen Hirschkuss mit uns trinken? Der Sepp und der Uli meinen das doch überhaupts nicht so.« Er warf den beiden einen bösen Blick zu. »Und der Likör macht warm bei dem Sauwetter.«
    Er wollte ihr eine

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