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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Stammtische mit zwei Händen voller Bierkrüge belieferte. Die Schaumkronen saßen so perfekt wie das Dirndl der Bedienung. »… Notwehr geht immer.«
    »Und Ihr Herr Mattusek, den Sie vorhin erwähnten, also, dass er selbst …?« Anne ließ die Andeutung des Satzes im Raum stehen.
    »Dass der in seinem eigenen Wald wildert?« Singers Stimme war nun wieder ganz ruhig. Nachdenklich sprach er weiter: »Das hört sich erst einmal nach einem völligen Schmarrn an. Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Dem Mattusek trau ich alles zu.«
    »Hat er denn einen Jagdschein?«, fragte Anne.
    Der Jäger zuckte mit den Schultern.
    »Eine Waffe?«
    »Ich habe sie noch nicht gesehen, aber er sagt, er hätte eine. Er hat mir schon einmal gedroht. Er könne schießen, hat er gesagt. Ob’s stimmt oder ob er mir bloß Angst machen wollte, das weiß ich nicht. Er hat jedenfalls gesagt, er würde ›von seiner Waffe Gebrauch machen, im Bedarfsfalle‹. Genau so hat er’s gesagt. ›Im Bedarfsfalle.‹«
    Anne, Johann und Lisa hatten Blasius Singer mit seinem Hund längst wieder verlassen und befanden sich mit den Fahrrädern auf dem Weg zum Strandbad der nördlichen Seegemeinde, da hielt die vorausradelnde Polizistin plötzlich an und erklärte ihren überrumpelten Begleitern: »Wir müssen noch einmal zurück.«
    »Wieso?«, fragte Lisa böse. »Ich fahr doch jetzt nicht die ganze Strecke wieder zurück!«
    »Weil ich noch etwas vergessen habe.« Anne überlegte kurz. »Aber vielleicht könnt ja ihr schon mal … und ich komme dann nach.«
    Lisa zog einen Schmollmund, aber Johann hatte bereits »Auf geht’s, Lisa!« gerufen und war weitergefahren.
    Minuten später stand Anne in der geräumigen Küche des Bräustüberls, das sie eben erst verlassen hatten, und nahm zwischen brutzelnden Pfannen und dampfenden Töpfen den Küchenchef der bekannten Wirtschaft in die Zange. Wenn Singer meinte, dass die verstorbenen Studenten das infizierte Fleisch keinesfalls von einem Jäger bekommen haben konnten – hatten sie es dann vielleicht in einem Restaurant gekauft? Sie konfrontierte den Koch mit ihrer Frage, doch das hätte sie besser bleiben lassen sollen. Als der Koch Annes These hörte, war er sofort außer sich: »Das ist der größte Kas, den ich je gehört hab. Und eine Unverschämtheit obendrein! Auf so was könnt’s wirklich bloß ihr von der Polizei kommen! Dass mir unseren Gästen so einen Saufraß vorsetzen! Was meinen Sie denn, wie Wirtshausküchen heutzutage kontrolliert werden? Das ist schlimmer wie zu Stasizeiten, das sag ich Ihnen! Wenn so ein Kontrolleur daherkommt, dann robbt der mit Pinzette und Pipette durch jedes Gulasch und jeden Wurstsalat und schaut nach, ob da nicht vielleicht ein Fliegenschiss von einem Keim drin ist!«
    »Ich will Ihnen natürlich nichts unterstellen, aber man liest doch immer wieder von gravierenden Hygienemängeln in der Zeitung«, verteidigte Anne ihre Frage.
    Der Küchenchef schüttelte wütend den Kopf. »Reden wir jetzt hier von Milzbrand oder von Pipifax? Frau Joop, Milzbrand ist eine tödliche Seuche! Da hört sich die Gaudi auf!«
    »Ich heiße Loop.«
    »Das ist doch ganz gleich! Jedenfalls haben’S genau so eine blühende Phantasie wie dieser vollvernähte Modefuzzi! Jetzt stellen’S sich einmal vor, was los ist, wenn mir hier einen Anthraxfall hätten! Dann wär Krieg! Da könnten mir hier zusperren, aber schneller wie die Feuerwehr!«
    »Ich meine ja gar nicht Sie«, wehrte Anne ab. »Ich meine das doch ganz allgemein: Könnte es nicht sein, dass die Studenten irgendwo anders, also in einem nicht so gut geführten Haus wie Ihrem … dass die Verstorbenen solch ein … verdorbenes Fleisch gekauft haben könnten?«
    »Nein. Niemals. Auf keinen Fall. Milzbrand ist nicht von Zufall ein biologischer Kampfstoff.«
    »Aber wenn die Fleischkontrollen so streng sind, wie konnte es dann zum Pferdefleischskandal kommen?«, gab Anne zu bedenken.
    Der Koch schnappte sich eine große silberne Kelle und rührte damit wütend in einem Topf mit dunkelbrauner Soße herum, die nach Rindfleisch duftete. Als würde ihn diese Übersprungshandlung beruhigen, sagte er dann: »Erstens wurden die Kontrollen seither noch genauer, noch engmaschiger und für uns als Köche noch unangenehmer. Die nehmen mittlerweile sogar flächendeckend DNA -Proben! Gerade so, als wären wir Verbrecher! Und zweitens kann man das nicht vergleichen – beim Pferdefleischskandal ist ja niemand gefährdet worden. Aber Milzbrand ist

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