Hirschkuss
als Förster vermutlich sehr genau wissen, wie man einen Mann im Wald verschwinden lässt, ohne dass er jemals wieder aufgefunden wird?«
Der Förster wandte den Blick von dem Schmetterling ab und sah Anne an. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Da müsst ich ja schön blöd sein. Da müsst ich ja saublöd sein.« Während er sprach, wurde er immer lauter. »Da müsst ich ja so saudumm sein, wie man gar nicht saudumm sein kann!« Während das Echo seines Geschreis vom Wald her widerhallte, stand er auf, ging die paar Schritte zum Eingang seiner Behausung, wandte sich noch einmal kurz den Ermittlern zu und sagte: »Nix für ungut, Kurt, ich mag jetzt nicht mehr. So einen Schmarrn hör ich mir nicht an. Habe die Ehre.« Dann verschwand er im Dunkel des Hausflurs. Der Schmetterling folgte ihm.
Auf der Rückfahrt zum See waren sich die drei Polizisten uneinig darüber, wie der gesamte Auftritt von Eberhard Gansl zu bewerten war. Anne fand seine Aussage, dass er saudumm sein müsste, wenn gerade er Mattusek verschwinden lassen würde, absolut nachvollziehbar und glaubwürdig. Kastner störte sich an der wortkargen, schofeligen Art des Alten. »Ich hab ja gewusst, dass der Gansl ein sturer alter Bock ist, aber dass der so gar keinen Respekt vor der Polizei hat? Wo er dich auch noch so gut kennt, Kurt!«
»Er ist halt sein halbes Leben allein im Wald umeinandergetappt«, meinte Nonnenmacher. »Da wird man so. Wenn ich meine Helga nicht hätt, dann wär ich auch nicht so … offen für alles und jeden.« Anne hätte schreien können ob dieser realitätsfremden Selbsteinschätzung, aber sie verkniff es sich. »Was mich stutzig macht, ist der Text von dem Lied«, merkte Nonnenmacher nachdenklich an. »Aber was ganz anderes: Hat eigentlich schon jemand die Frau vom Mattusek angerufen?«
Donnerstag
Die Villa in Düsseldorfs nobelstem Stadtteil verfügte über einen großen Vorgarten, dessen Buchsbäumchen in schlossgartenähnlichen Schlangenlinien wuchsen. Dazwischen thronten einige mit weißen Nelken bepflanzte und modern gestaltete Blumenkästen aus einem Material, das wie Plexiglas wirkte und in Annes Augen geschmacklos aussah. Weil die drei Ermittler nach dem Besuch bei Förster Gansl zu dem Schluss gekommen waren, dass ein Besuch und eine persönliche Vernehmung der Ehefrau des Verschwundenen unabdingbar waren, hatte Anne sich in den Zug gesetzt und war von dem See inmitten von Bergen in die Heimatstadt des Vorstandsvorsitzenden der Bio Wood World AG gefahren.
Als es darum gegangen war, wer ins Rheinland fahren würde, hatte Anne sich sofort freiwillig gemeldet, denn so musste sie abends nach Dienstschluss nicht die Ungewissheit ertragen, ob Johann sie besuchen käme oder nicht. Anne hatte den Zug um fünf nach drei genommen, nachdem sie Lisa bei ihrer Freundin Emilie untergebracht und Johann angerufen hatte, um ihm zu sagen, dass sie in den nächsten Tagen keine Zeit für ihn haben werde, weil sie wegen wichtiger Ermittlungen auf Dienstreise gehen müsse. Johann hatte überrascht reagiert – auch wegen ihres angriffslustigen Tonfalls – und ein wenig gemault.
›Das hätt’ste dir früher überlegen müssen!‹, hatte sich Anne gedacht, aber es nicht ausgesprochen. Kurz nach elf war sie am Abend am Düsseldorfer Hauptbahnhof aus dem Zug gestiegen, hatte sich ein preiswertes Zimmer in einem kleinen Hotel in direkter Bahnhofsnähe genommen und Johann noch einmal angerufen, um ihm zu sagen, dass sie gut angekommen sei. Am Ende des Gesprächs war eine kurze Stille entstanden, in die man gut ein »Ich vermisse dich« hätte platzieren können, aber irgendwie waren beide davor zurückgeschreckt.
Nach einer traumlosen Nacht und einem Hotelfrühstück unter Krawattenträgern und Hosenanzugfrauen war Anne, die mit Nonnenmachers Einverständnis in ziviler Garderobe reiste, mit einem Leihfahrrad zum Anwesen der Mattuseks gefahren. Bereits am vorhergehenden Nachmittag hatte sie ihren Besuch gegenüber Cindy Mattusek, der Ehefrau des Holzinvestors, angekündigt.
Die Frau, die Anne die Tür der herrschaftlichen Villa öffnete, war etwa zwanzig Jahre alt. Sie war hübsch, wäre aber ohne das starke Make-up womöglich noch hübscher gewesen. Auch die Schwärze ihres langen Haars wirkte künstlich.
»Guten Tag, mein Name ist Anne Loop«, stellte Anne sich vor. »Ich habe einen Termin mit Cindy Mattusek.«
Die Frau lächelte sie mit freundlicher Unsicherheit an. »Das bin ich. Wir haben telefoniert. Kommen Sie
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