Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
den Dolch in den Rücken gerammt und den Rest erledigt hat, als von Ascheburg wehrlos auf dem Boden lag, kann es auch eine kleine oder schwache Person gewesen sein, die sich nur den Augenblick der Überraschung zunutze gemacht hat.« Dudernixen hatte sich die ganze Nacht Gedanken über den Tathergang gemacht. Er konnte genau sagen, wie die einzelnen Verletzungen aussahen, hatte sich ausgemalt, wie sie dem Opfer zugefügt worden sein konnten.
»Gab es denn einen Stich in den Rücken?« Jetzt meldete sich Krechting das erste Mal zu Wort, und er wirkte lange nicht mehr so abwesend wie vorher.
Dudernixen zuckte mit den Schultern, blickte auf den Burghof, den der Totengräber eben mit von Ascheburg in der Karre durchquerte.
Schemering riss das Fenster auf. »Stehen bleiben!« Der Totengräber hob den Kopf und stellte die Karre augenblicklich ab.
Der Landrichter hastete, gefolgt von den beiden anderen Männern, auf den Hof hinunter. Um den neugierigen Blicken der Menschen im Hof zu entgehen, schoben sie den Ermordeten in den Stall. Der Totengräber hatte die Leiche auf dem Rücken liegend in die Karre gewuchtet, sodass sie sie aufrichten mussten, um den oberen Rücken freilegen zu können.
Dudernixen zeigte auf einen Einstich zwischen den Schulterblättern, der schon fast verschlossen schien, sich aber bei der Berührung spreizen ließ. »Der hat ihn außer Gefecht gesetzt«, erklärte er, schlug das Tuch wieder herunter und ließ den Totengräber seine Arbeit tun.
»Also können wir über die Kraft und die Statur des Täters nicht viel sagen«, sagte Schemering.
»So ist es.« Dudernixen nickte. »Eigentlich gar nichts.«
Krechting maß die Höhe des Einstiches. Cornelius von Ascheburg war kein sehr großer Mann gewesen, selbst eine schmächtige Person hätte ihn ohne Weiteres von hinten mit einem Überraschungsangriff niederstrecken können.
»Ich habe in der Nacht den Todesschrei meines Freundes gehört«, sagte Krechting in die nachfolgende Stille hinein. »Und ich habe jemanden gesehen. In einen dunklen Umhang gehüllt.«
»Von Ascheburg wird nicht mehr viel geschrien haben«, grinste Dudernixen. »Der war sofort hin. Spätestens nachdem man ihn aufgeschlitzt hat.« Er wollte noch mehr sagen, verschluckte aber die Worte, als er das wütende Gesicht Krechtings sah.
»Ich meine«, druckste der Bader, »wenn da wer geschrien hätte in der Nacht, dann müsste das doch im Lager auch jemand gehört haben. Immerhin ist von Ascheburg genau da ermordet worden. Es hat aber keiner etwas gehört, ich habe bereits Erkundigungen eingeholt.«
Krechting hatte die Lippen zusammengepresst, auf seiner Stirn zeigten sich winzige Schweißperlen.
Dudernixen erhob sich. »Wenn ich mal zu bedenken geben darf: Es gibt nicht viele Menschen in dieser Gegend. Wir leben alle auf engstem Raum, haben alle ein Ziel, eine Richtung, deshalb sind wir hier. Cornelius von Ascheburg war einer von uns, einer, dem wir vertraut haben, den wir achteten. Wer soll ihn so gehasst haben? Ich möchte nur daran erinnern, dass in der Nacht seines Todes dieses Weib aus Jever bei uns aufgetaucht ist. Eine Hebamme. Wer weiß, ob sie nicht geschickt wurde? Wir sind dort verhasst, das wisst ihr. Unsere Religion ist ein Schimpfwort im Jeverland. Wir sollten das im Auge behalten.«
Damit empfahl der Bader sich und verließ die Amtsstube. Die erste böse Saat gegen die Hebamme war gesät.
Hinrich Krechting war nach der Leichenschau schnell in seinem Hof neben der
Olden Krocht
verschwunden. Er musste am Nachmittag zu Hebrich, sie würde den Mord melden müssen, denn die Verurteilung des Mörders fiel nicht mehr in die Gödenser Gerichtsbarkeit. Auch wenn sie in Altgödens aus Wut über die Fremdbestimmung einen Galgen errichtet hatten, so war es ihnen versagt, Menschen dem Scharfrichter und dessen Urteil zu übergeben.
Er zögerte jedoch noch, der Häuptlingswitwe die Ergebnisse der Leichenschau mitzuteilen. Er hatte sie gestern vom Tod des Lokators in Kenntnis gesetzt. Hebrich war müde gewesen, die Anspannung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. »Kommt morgen Nachmittag wieder«, hatte sie abgewinkt.
Krechting seufzte. Er war sich sicher, dass der Tod seines Freundes mit ihm zu tun hatte. Vielleicht mit dem Besuch, auf den er hoffte. Rothmann war in Hamburg gesehen worden, später in Groningen. Vielleicht war er auf dem Weg, um seine Glaubensbrüder endlich zu unterstützen. Vielleicht, nein, bestimmt würde er mit dem nächsten Schiff aus Emden
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