Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
kommen. Mit Rothmanns Hilfe würde Graf Anton von Oldenburg ihnen erneut Zuflucht gewähren, denn mit Bischof Waldeck von Münster konnte der Frieden nicht lange gut gehen. Und für seine Intrige gegen Waldeck würde er ihn, Hinrich Krechting, mit all seinem Mut und seinem Wissen brauchen. Oldenburg konnte neben Gödens das Neue Jerusalem werden. Seine ganze Kraft, sein ganzes Wirken hatte er genau darauf ausgerichtet. Nur deshalb harrte er in der ostfriesischen Einöde aus.
Wenn Graf Anton nicht hinter mir stehen würde, hätte er mich damals nicht im Kloster von Rastede versteckt, sondern mit Schimpf und Schande ins Kaiserreich gejagt und meinen Tod billigend in Kauf genommen, dachte Krechting. Ich, der
Vogelfreye
.
Hinrich rieb sich die Stirn, als könne er so die wilden Gedanken in seinem Kopf bändigen. Er musste nur weiter ausharren. Er konnte Hebrich von Knyphausen hier in Gödens mit Rat und Tat zur Seite stehen, sie brauchte ihn und Wolter Schemering.
Dass Gräfin Anna mit der Herrlichkeit Gödens den Vergleich ausgehandelt hatte und sie endlich das Schwarze Brack eindeichen konnten, bedeutete für Hebrich einen echten Lichtblick für die Zukunft. Eine Siedlung am neuen Siel wolle sie bauen, hatte sie gesagt. Wenn erst der Deich fertig sei. Sie habe Land und nur wenige Untertanen, alle Flüchtlinge könnten bleiben. Von der Handelssiedlung aus könnten sie ihre Waren in alle Himmelsrichtungen streuen. Mit dem neuen Siel würden sich weitere Manufakturen aus dem ganzen Reich ansiedeln. Handwerk, das nicht mit den Holländern ans Schwarze Brack gekommen war. Diese Pläne stammten von Krechting, er hatte Hebrich davon berichtet. Wenn sie erst das Neue Jerusalem errichtet hatten, brauchten sie gute Handelsbeziehungen, Stärke, um gegen Karl V. bestehen zu können. Krechting hatte seine Überlegungen in diese Richtung formuliert, wohl wissend, dass es am Ende so wirken musste, als sei es einzig Hebrichs Idee gewesen. Sie war, obwohl sie die Regentschaft nur so lange innehatte, bis ihre Kinder regierungsfähig waren, eine selbstbewusste Herrin, die auch den Männern gegenüber so stark auftrat, dass kaum jemand ihr zu widersprechen wagte. Hinrich war so ziemlich der Einzige. Er, ihr engster Berater. Selbst Wolter, den sie als Landrichter eingesetzt hatte, vertraute sie nicht in dem gleichen Maße.
Es war aber auch umgekehrt so, dass er auf ihren Rat hörte. Hinrich erinnerte sich noch sehr gut an das fürstliche Essen, zu dem sie ihn und Wolter schon bald nach seiner Ankunft 1540 eingeladen hatte. Die
Olde Krochtwarft
hatte sie ihm auf Wolters Anraten auf Lebenszeit verpachtet, etwas, was in der Herrlichkeit unüblich war. Lediglich Adele durfte bislang auf unbestimmte Zeit weiter in der roten Kate leben. Sollte auch er, Krechting, vor seiner Frau sterben, durfte Elske ebenfalls auf ihrer Hofstatt bleiben.
Noch während Hebrich ihm bei dem Mahl damals Schaffleisch mit Zwiebeln und ein Stück gebratenes Huhn mit Zwetschgen auf den Zinnteller gelegt hatte, hatte sie das Gespräch auf seine Zeit in Rastede und das Zusammentreffen mit Hardenberg gelenkt. Mit dem Reformer hatte er viele Nächte durch diskutiert, seinen Glauben verteidigt, aber auch andere Blickwinkel zugelassen.
»Er ist ein Reformierter. Ein guter Mann. Könnt Ihr damit leben?« Sie hatte ihm in die blauen Augen gesehen. »Es ist wichtig für uns alle, was Ihr darstellt.« Dabei war ein Lächeln über ihr Gesicht geglitten. »Die Gedanken sind frei, Krechting. Überlegt es Euch. Es erleichtert viele Dinge.« Danach hatte sie ohne Überleitung von etwas anderem gesprochen und hatte dieses Thema nie wieder angeschnitten.
Seitdem befand sich seine Seele in einer Art Schwebezustand. Sie wandte sich mal nach rechts, mal nach links, wusste einfach nicht mehr, wohin sie gehörte. Trotz seiner Körperfülle glaubte er, eine Handbreit über dem Boden zu schweben. Immer wieder sagte er sich, er habe keine Wahl, seine Zeit war noch nicht gekommen, er müsse in dieser Einöde auf bessere Zeiten warten. So lange, bis Gott ein Zeichen gab. Die wahre Zeit würde bald anbrechen, er war ganz sicher. Rothmann würde bald kommen. Von Ascheburgs Tod änderte nichts. Er würde sich nicht aufhalten lassen. Hinrich Krechting gab niemals auf.
Hebrich von Knyphausen saß in ihrem Sessel, eine Stickarbeit in den Händen und den Blick auf das Schwarze Brack gerichtet, als Krechting eintrat.
»Herrin, ich komme wegen des Todes von Ascheburgs. Wir haben heute Morgen die
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