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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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weiter, war es, als verdoppelten sich ihre Füße.
    Hiskes Herz klopfte schneller. Wer war ihr Verfolger? Einer aus dem Lager, der ihr lediglich Angst machen wollte, damit sie aus der Herrlichkeit wieder verschwand? Oder wollte man ihr wirklich etwas antun, weil alle wussten, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern ließ?
    Hiske blieb stehen, weil sich ihr der Atem vor lauter Panik abschnürte, ihr den Hals verengte. Noch während sie nach Luft rang, schoss ihr durch den Kopf, dass ihr Verfolger auch von Ascheburgs Mörder sein konnte. Sie lebte in einer ihr fremden Welt, in der, nachdem sie einen Fuß auf diesen Boden gesetzt hatte, ein Mord geschehen war. Sie wandte vorsichtig den Kopf, drehte sich dann blitzschnell um und sah eine große, kräftige Gestalt zum Graben hin verschwinden.

Kapitel 6
    Sie war neu hier. Der Knabe kannte fast jedes Gesicht. Nun schob das erste Morgenlicht die Nacht beiseite. Eigentlich müsste er sich einen Platz zum Schlafen suchen, doch wie gebannt schaute er auf die Frau, die er schon auf dem Weg hierher verfolgt hatte.
    Der Knabe freute sich über das erste Morgenrot, das sich am Horizont zeigte. Die Deicharbeiter brachen eben zu ihrer Arbeitsstätte auf, sie kamen viel zu schnell voran. Wie jede Nacht hatte der Knabe auf die Bucht hinausgestarrt, es war Ebbe gewesen, das Watt hatte sich vor seinen Füßen ausgebreitet und ihn mit seinem immerwährenden leisen Knacken gelockt. Es wollte, dass er es betrat, bis zum Wasser lief und irgendwo an der Grenze zum Himmel von ihm auf den Arm genommen wurde. Er sollte auf seiner Gischt zum Land zurückgetragen werden. Das Meer würde immer gut zu ihm sein, weil er es beschützte. Es nicht in Grenzen zwang, damit es sich für immer an die Ufer hielt. Das Meer war das Zuhause, das er sonst nicht hatte.
    Danach war er durch das Dunkel gelaufen, Meile für Meile, wie jede Nacht. Hatte dem Wolkenspiel am Himmel und dem Mond zugesehen, der jeden Tag ein bisschen anders aussah. Aber nur für eine gewisse Zeit, dann wiederholte sich seine Form. Der Knabe überprüfte auch das jede Nacht, denn so ordnete er seine Welt. Eine Welt, die ihm nie jemand richtig erklärt hatte. Das Meer kam und ging, der helle Ball am Nachthimmel wurde rund, nahm wieder ab, verschwand und kam zurück. Die Blätter an den Ästen waren erst von zartem Grün und klein, weich, wurden dann dunkler, kräftiger und schließlich hart und bunt. Sie fielen ab, der Baum stand nackt da, obwohl es kalt war, und erst wenn es wärmer wurde, schmückte ihn erneut das Grün. Der Knabe schloss daraus, dass ein Baum nicht fror, denn sonst wären die Blätter im Winter und nicht im Sommer da.
    Die Welt um ihn herum war nicht immer gut zu ihm, aber interessant. Wenn ein Mensch im Lager starb, kam kurz darauf ein neuer Mensch aus dem Bauch einer Frau. Das hatte er oft genug beobachtet. Das Leben war eine Wiederholung. Und doch war in der einen Nacht etwas geschehen, was den Ablauf störte. Wieder griff er nach seinem Messer. Die Klinge war sauber, es klebte kein Blut mehr daran, obwohl er nach seinem Besuch am Meer noch einen Hasen gefangen und ihm das Fell über die Ohren gezogen hatte. Es war ihm sogar gelungen, ein kleines Feuer zu entfachen, damit er den Hasen darüber braten und sich an der Glut wärmen konnte. Das Feuer hatte aber nicht lange genug gebrannt, um ihn die Nacht überstehen zu lassen. Also war er mit großen Schritten weitergetrabt, hatte die Luft in sich aufgesogen und den rufenden Kauz nachgemacht, der ihm geantwortet hatte. Die Nachtvögel kannten ihn, er war einer von ihnen, ein Geschöpf der Dunkelheit.
    Er war so anders als die anderen Menschen, als die Kinder, die im Lager herumtollten. Sie spielten miteinander, lachten, und da waren Weiber, die ihnen immer etwas zu essen hinstellten. Die Kinder waren auch viel kleiner als er. Und sie gehörten alle irgendwo hin.
    Für ihn ließ nicht einmal das Weib die Scheune mehr offen, sie hatte ihm auch seit drei Tagen keine Milch mehr hingestellt. Er war immer wieder zu dem Haus geschlichen, doch die Fenster waren geschlossen, die Vorhänge zugezogen. Und er verstand nicht, was die Menschen sagten, kannte die Worte nicht, die aus ihren Mündern flossen. Wenn ihn mal eines der Kinder sah, schrie es auf und rannte weg. Vor einiger Zeit hatte er mal mitspielen wollen, doch sie mochten ihn nicht. Sie hatten mit ihren Fingern auf ihn gezeigt, ein paar der Größeren sogar nach ihm gespuckt. Die Kleinen weinten, jammerten, und

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