Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
einem Herrscherhaus tätig sein würde, doch das war ihr bislang noch nicht passiert.
»Mich zerreißt es«, stieß Maria aus. »Das stehe ich nicht durch.«
Hiske legte ihre Hand auf den Bauch der Frau. Er war angespannt und hart, die nächste Wehe rollte heran und schien Maria unter ihrer Wucht zu begraben. Die Hebamme tastete sie ab, es würde nicht mehr lange dauern, bis das Kind kam, die Geburt war schon weiter vorangeschritten, als sie geglaubt hatte.
»Ich habe den Schmerz schon seit Stunden, aber jetzt halte ich es nicht mehr aus!«, wimmerte Maria und begann gleich darauf wieder zu brüllen.
Hiske redete beruhigend auf sie ein, und trotz der gewaltigen Schmerzen der Wehen entspannte sich die junge Frau in den Wehenpausen; so kam die Geburt jetzt gut voran. »Wie machst du das?«, flüsterte die Frau und gab sich Hiskes führenden Händen hin.
Kurze Zeit später wurde die Plane beiseitegerissen, und Marias Ehemann stand mit dem Bader Dudernixen im Wagen. Sie blickten die Hebamme völlig entgeistert an, und Hiske wurde das Gefühl nicht los, dass das nicht an ihrer Arbeit lag. Dudernixens Blick strahlte Feindseligkeit aus, der von Coevorden eher große Anspannung. Ihm stand die Furcht um sein Weib ins Gesicht geschrieben, es war sein erstes Kind.
Hiske wies mit dem Kopf nach draußen, hoffte so, die beiden rasch aus dem Wagen lotsen zu können. Männer hatten bei einer Geburt nichts verloren. »Das hier ist Frauensache. Krechting hat angeordnet, dass ich von nun an für die Gebärenden zuständig bin.« Sie fixierte Coevorden. Er war einer der Deicharbeiter. »Dein Kind kommt schon gesund raus! Also, schert euch weg!«
Hiske wandte sich wieder Maria zu, die sich ihrem Schicksal nunmehr ergeben hatte und die nächste Wehe mit stoischer Ruhe über sich ergehen ließ. Sie kniff lediglich die Lippen zusammen und ließ die Luft dazwischen herausströmen.
Dudernixen zischte der Hebamme zu: »Und wehe, du taufst das Balg, wenn was schiefgeht. Dann bist du tot!« Er verließ zusammen mit Coevorden den Wagen. Allein der Art, wie er aus dem Wagen stapfte, nach zu urteilen, war er sehr wütend.
Hiske war erschrocken zusammengezuckt. Sie sollte dem Kind also wirklich die Nottaufe verweigern? Das Erste, was sie als junge Hebamme beigebracht bekommen hatte, war, wie sie taufen musste, bevor ein Kind diese Erde gleich wieder verließ. Hier verbot man es ihr, drohte ihr sogar. Auch Krechting hatte ihr ja bereits am Tag ihrer Ankunft klargemacht, was er in dieser Hinsicht von ihr erwartete.
Hiske wandte sich wieder der Gebärenden zu. Dann würde sie eben nicht taufen, zumal es nicht aussah, als sei es notwendig, die Geburt nahm einen normalen Verlauf.
»Wo waren die Männer, Maria?«, fragte sie die Frau. »Es ist Nacht, du kommst nieder, und dein Mann ist einfach verschwunden.«
»Kann ich dir nicht sagen.« Maria machte eine Pause. »Es ist schon jemand gestorben, ich …« Sie brach ab, weil sie eine neue Wehe übermannte. Danach war aus Maria nichts mehr herauszubekommen.
Hiske versuchte sich ganz auf die Geburt zu konzentrieren, doch die Worte Marias fraßen sich durch ihren Kopf. »Kann ich dir nicht sagen, es ist schon jemand gestorben.« Irgendetwas in diesem Lager war seltsam, geheimnisvoll. In Hiske drängte sich ein Verdacht auf, den zu Ende zu denken sie aber nicht wagte.
Wehe folgte nun auf Wehe, bis Maria bereit war, das Kind zu gebären. Es war ein Junge. Er suchte sofort nach der Brust und begann zu saugen. Doch die Nachgeburt kam nicht. Die junge Frau begann immer stärker zu bluten. Wie ein Meer breitete sich die rote Lache um sie herum aus und versickerte in den bereitgelegten Leinen. Maria wurde zusehends blasser und schwächer. Wenn Hiske nichts unternahm, starb ihr das Weib unter den Händen weg. Das war nicht nur schlimm für die Gebärende, das Kind und die Familie, auch für die Hebamme wäre es ein denkbar schlechter Einstand. Es würde Wasser auf Dudernixens Mühlen sein. Er schien förmlich darauf zu lauern, dass sie einen Fehler machte. Bei ihrer Ankunft hier hatte Hiske seine begehrlichen Blicke wahrgenommen, doch mit jeder weiteren Begegnung waren sie in einen Hass, gepaart mit einer nicht einzuordnenden Furcht, gemündet.
Anneke hatte ihr erzählt, dass er Krechting drängte, sie zurück nach Jever oder fort über das Schwarze Brack in eine ungewisse Zukunft zu schicken. Als einzigen Grund konnte Hiske sich nur vorstellen, dass er ihr die Arbeit neidete und fürchtete, auch
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